Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Sie waren Holländer. Jan fragte sich, warum sie nicht in Emden geblieben waren, denn in der Stadt gab es bessere Möglichkeiten, was den Handel und auch die Versorgung anging.
Doch über die Lippen der Mitreisenden kam kein Wort. Sie begrüßten sich mit einem flüchtigen Kopfnicken, wandten sich dann demonstrativ ab und unterhielten sich ausschließlich mit ihresgleichen. Vor allem der kranke Garbrand war ihnen nicht geheuer. Hin und wieder steckten sie die Köpfe zusammen und sahen in seine Richtung. Jan vermutete, dass sie ihn als katholischen Mönch erkannten, es aber nicht wagten, ihn offen zu beschuldigen.
»Mennoniten sind friedliche Täufer, du kannst unbesorgt sein«, sagte Jan des Öfteren zu seinem Freund. »Verhalte dich ruhig.« Garbrand konnte ohnehin nicht anders. Er war zu schwach.
Einmal schaffte es Jan, einer Familie ein Gespräch aufzuzwingen. »Wohin reist Ihr?«, fragte er.
»In die Herrlichkeit Gödens, jetzt gibt es kein Zurück mehr«, sagte der Mann. Sie waren eben wieder an einer der ostfriesischen Inseln vorbeigeglitten. Je weiter sie sich von Emden entfernten, desto sicherer wurde es für die Menschen. In diesem abgelegenen Teil der Welt gab es kaum Überfälle, zumindest nicht unterhalb der Inseln. In der weiten Nordsee sollten schon hin und wieder gefährliche Übergriffe geschehen. Man sagte den Insulanern sogar nach, dass sie die Schiffe auf Grund lenkten, um sie anschließend zu plündern. Manchmal fragte sich Jan, ob auch ihnen das passieren konnte. Aber wenn schon: Was hatte er außer seinem verkorksten Leben zu verlieren? »Wollt Ihr dort leben?«, fragte Jan.
Der Mann nickte. »In Holland hatten wir keine Zukunft mehr. Die einzige Möglichkeit ist die Flucht. In Gödens braucht man uns.«
»Wer hat Euch das gesagt?«
»Ein Mann, der sich Johannes nannte, brachte uns die Botschaft von Krechting«, bekam er zur Antwort. »Hinrich Krechting. In der Herrlichkeit wird ein neuer Ort erbaut, dort können wir siedeln und werden nicht verfolgt.« Der Mann fixierte ihn. »Und Ihr?«
»Ich bin auch auf dem Weg dorthin«, gab Jan zu, denn die Menschen würden ohnehin sehen, dass er mit ihnen das Schiff verließ. »Ich werde dort ebenfalls leben. Mit meinem Freund da.«
Die Miene des Mannes verfinsterte sich. »Das ist ein …« Er sprach es nicht aus, und Jan schwieg. Manchmal war das besser.
»Dann gehören wir wohl alle irgendwie zusammen«, lenkte der Mann nach einer Weile ein, aber Jan merkte, dass er an einem weiteren Gespräch nicht mehr interessiert war, weil er, Jan, mit einem katholischen Mönch reiste. Jan hoffte, dass es zu keinen Schwierigkeiten kommen würde.
Krechting hielt sich den Kopf. Er wusste kaum, wie er nach Hause gekommen war, wusste nur, dass er den Deicharbeitern ausgewichen war. Sein Schädel fühlte sich an, als ob ein Ochsengespann darübergerattert sei. Er konnte sich kaum erinnern, wie es geschehen war. Nur an einen furchtbaren Schmerz und die darauffolgende Schwärze.
Warum der Täter nicht ein weiteres Mal zugeschlagen hatte, war ihm noch immer ein Rätsel. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn nun einfach umzubringen. Aber er hatte ihn am Leben gelassen. Zufall? Ein Versehen? Krechting konnte es nicht sagen. Aus der Wunde am Kopf floss Blut, wahrscheinlich hatte der Täter wirklich gedacht, er weile nicht mehr unter den Lebenden.
Elske erwachte und stieß einen Schrei aus, als sie ihren Mann blutüberströmt neben sich liegen sah. »Was hast du gemacht, Hinrich?«
Krechting richtete sich auf. »Hast du ein Leinentuch? Ich war heute Nacht am Hafen.«
Elske schüttelte den Kopf, erhob sich und verband die Wunde. »Die sollte sich der Bader mal ansehen. Muss vielleicht genäht werden.«
»Ich trau Dudernixen nicht«, sagte Krechting. »Er will zu viel.«
»Was du immer hast, Hinrich. Sei froh, dass er den Posten von Cornelius so rasch übernommen hat. Er hat mit seinem Badewagen und der Heilerei eigentlich genug zu tun.«
Krechting schnaubte. »Melchior Dudernixen hat nur eines zum Ziel: Er will die Mennoniten ganz nach vorn bringen, will, dass sie mehr zu sagen haben als wir Täufer, er will …«
Elske legte ihre Hand auf seine Lippen. »Pst! Reg dich nicht auf. Warte, bis Rothmann kommt, dann geht alles seinen Gang.«
»Wenn er kommt, Weib. Wenn er wirklich kommt.« Krechting stützte seinen Kopf in die Hände. »Ich habe langsam kaum noch Hoffnung. Es ist so lange kein Schiff mehr am Friedeburger Siel angelandet. Und es dauert noch, bis
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