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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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das in ihr auslöste. Ihre Seelen hatten sich anscheinend für einen kurzen Augenblick berührt.
    Die Hebamme trat in den Flur, sie wollte sichergehen, dass sich der Wortsammler nicht mehr im Haus befand. Sie huschte zur Haustür und öffnete sie leise. All ihre Sinne waren geschärft, während sie ihre Augen in den beginnenden Morgen tauchte, ihre Ohren für jedes Geräusch schärfte. Vielleicht hielt sich der Knabe ja noch im Garten auf, wartete dort auf sie. Hiske gestand sich ein, wie sehr sie darauf hoffte. Der Mond schien noch hell. Den Morgen erahnte man nur, weil die ersten Amseln ihr Lied anstimmten. Vom Wortsammler aber fehlte jede Spur.
    Hiske ging in die Küche und wollte einen Schluck Dünnbier trinken, bevor sie sich für die letzten Stunden der Nacht zur Ruhe legte. Als sie die Tür öffnete, stand Adele am Feuer und stocherte mit dem Schürhaken in der Glut. Sie sah nicht auf, als Hiske eintrat. Ihr Haar hatte sie unter eine weiße Haube gesteckt.
    »Du hast ihn mit in deine Kammer genommen!« Adele richtete sich auf, dabei rutschte ihr die Haube vom Kopf. Im Haar tanzte nun der Schein des Feuers, doch das sah nicht etwa schön, sondern vielmehr bedrohlich aus, vor allem, als Adele sich zu ihrer vollen Größe aufrichtete und Hiske anblitzte. »Das ist Unzucht!«
    Hiske schüttelte den Kopf, hob abwehrend die Hand. »Er ist ein Kind, Adele. Ich habe ihn doch nicht mit unter meine Decke genommen.«
    »Er ist ein Kind in Mannesgestalt. Da kann eine Frau wie du schon auf dumme Gedanken kommen.« Ihre Stimme klang nun etwas versöhnlicher.
    »Er ist allein, Adele. Ich habe ihm Essen gegeben und ein Lager für die Nacht. Mehr nicht. Außerdem ist er ja nun schon wieder weg.«
    Adeles Gesichtszüge wurden weicher. »Es ist gut, dass er fort ist. Er ist«, sie suchte nach den richtigen Worten, »er ist gefährlich. Ich mache mir Sorgen, wenn du dich mit ihm einlässt. Er ist irre, er ist besessen. Man weiß nicht, was er im nächsten Augenblick tut.«
    Hiske schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Adele. Er ist ein armer Wurm, der viel zu viel mitgemacht hat. Er kennt keine Worte, lernt aber schnell. Er kennt keine Berührung, saugt sie aber auf wie ein Badeschwamm …«
    »Dann hast du also doch mit ihm …«
    »Ich habe ihn am Arm berührt, sonst nirgendwo«, beschwichtigte Hiske Adele. Die sackte förmlich in sich zusammen und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Du darfst ihn nicht mehr hier hineinlassen! Ich glaube, er ist der Mörder von Cornelius von Ascheburg!«
    »Wie kommst du darauf, Adele?«
    »Es gibt nur einen, der nachts überall herumschleicht und gefährlich ist wie ein böser Schatten. Ach, was sage ich: wie der Drache des bösen Schattens. Er spuckt Feuer und trinkt Blut. Nimm dich vor ihm in acht, Hiske Aalken, sonst wird es dein rotes Nass sein, das er als Nächstes kosten wird!« Adele sprang auf und stürmte ohne ein weiteres Wort aus der Küche.
    Hiske stand wie erstarrt da. Sollte der Wortsammler wirklich etwas mit dem Tod von Ascheburgs zu tun haben? War er tatsächlich so verrückt? Hiske setzte sich auf die Küchenbank, versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Warum sollte der Junge so etwas tun, er hatte doch kein Motiv. Oder mordete er wie ein Wahnsinniger allein aus der Lust am Töten? Sie musste genauer herausfinden, was Adele über den Knaben wusste. Vermutlich nur das, was man sich im Lager erzählte und entsprechend ausschmückte. Hiske nahm sich einen Becher Dünnbier, leerte ihn Schluck für Schluck.
    Dann erhob sie sich und klopfte an Adeles Kammertür. »Adele, ich muss mit dir reden. Ich muss mehr über den Jungen wissen!« Es blieb still, und Hiske wagte nicht, die Klinke herunterzudrücken und die Kammer ihrer Gastgeberin zu betreten. Ihre Fragen mussten bis zum Morgengrauen warten, das sicher nicht mehr lange auf sich warten ließ. Als sie zu ihrer Kammer zurückging, umwehte sie ein süßlicher, frischer Duft, der sich durch die leicht geöffnete Haustür ins Innere des Hauses drängte. Sie musste vorhin vergessen haben, sie richtig zu schließen.
    Krechting hoffte darauf, schon bald ein Segel am Horizont auftauchen zu sehen. Und mit diesem Schiff sollte auch Rothmann kommen. Er wünschte es sich so sehr. Alles wuchs ihm über den Kopf, nur durfte er das niemandem sagen. Nicht einmal seiner Frau gegenüber traute er sich zuzugeben, wie zerrissen und allein er sich wirklich fühlte. Sie ahnte es nur. Rothmann, ja, Rothmann

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