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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Regine Kölpin
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würde er es sagen. Ihm, seinem Glaubensbruder aus alten Tagen. Wie er die Gespräche mit ihm vermisste! Keiner konnte so lebhaft und tiefsinnig diskutieren wie er. Selbst der Prediger Hardenberg, den er im Kloster Rastede getroffen und mit ihm die Glaubensgrundsätze von allen Seiten beleuchtet hatte, selbst er konnte Rothmann nicht das Wasser reichen. Wenn er nur endlich da wäre! Morgen früh würde er zum Schwarzen Brack gehen und seine Augen in Richtung Nordsee wandern lassen. Vielleicht würde das Rothmanns Auftauchen beschleunigen. »Lächerlich«, schalt er sich selbst. »Lächerlich!«
    Krechting stand auf, stellte sich ans Fenster und fühlte sich in jene Nacht zurückversetzt, als Cornelius sein Leben auf so grausame Weise lassen musste. Magda Dudernixen hatte recht gehabt. In genau dieser Nacht war Hiske Aalken hier aufgetaucht. Sie kam aus Jever, und sie war eine dort angeklagte Zauberin. Es war nun nicht so, dass er an solche Dinge glaubte, nur waren die Frauen, denen man das vorwarf, meist eigentümlicher Natur. Sie konnten oft in die Zukunft sehen, hantierten mit toten Vögeln, wenn sie in den Innereien die Zukunft lasen, heilten auf seltsame Art und Weise. Man hatte ihm auch schon gesteckt, dass Hiske Aalken sich des Nachts in ihrem Kräuterbeet zu schaffen machte. Wer wusste schon, ob sie sich nicht auch mit anderen merkwürdigen Dingen beschäftigte.
    Krechting sah zu Elske, die in tiefem Schlummer lag. Sie war sein nächtliches Herumgewandere schon so sehr gewöhnt, dass sie davon nur selten erwachte.
    Er schlüpfte in seine Beinkleider. Der Morgen würde ohnehin nicht mehr allzu lange auf sich warten lassen. »Ich werde schon jetzt zum Brack gehen. Vielleicht entdecke ich irgendwas, das mich weiterbringt. Oder ich sehe endlich das Segel!«
    Krechting raffte seine Sachen zusammen, zog das Wams und den Mantel über und ging hinaus. Kaum aber war er vor die Tür getreten, als sich in ihm eine eigentümliche Beklemmung breitmachte. Wieder glaubte er, dass Augenpaare ihn verfolgten, fühlte sich von unsichtbaren Schatten gestreift und überlegte, ob er nicht doch lieber wieder ins Haus zurückging. »Ich bin kein Narr«, schalt er sich. »Ich lasse mich doch nicht von solchen Dingen beeinflussen.«
    Die Luft hatte sich merklich erwärmt und war von süßlichen Gerüchen geschwängert, ein Graureiher stieg mit lautem Krächzen auf. Krechting schritt kräftig aus. Ostfriesland würde nun für ein paar kurze Monate erblühen, bevor es erneut in den tristen, nebligen Winterschlaf verfiel.
    Irgendwo begannen bereits die ersten Amseln mit ihren Liedern, ein Entenpaar schnatterte auf einem Graben. Die anderen Geräusche des herannahenden Morgens konnte er nur schwer zuordnen, aber es war ihm auch nicht wichtig. Ihm reichte der Duft, der seine Nase streifte.
    Krechting wollte keinen Umweg machen, sondern direkt zum schon weit fortgeschrittenen Hafen eilen. Er hoffte, dort Antworten zu finden. Antworten auf die Qualen der letzten Monate, Antworten auf die Zweifel, Antworten auf den Tod seines besten Freundes und Weggenossen. Das Meer mit seiner Weite war immer ein guter Ratgeber, pustete den Kopf frei und gab Inspiration.
    Je näher Krechting der See kam, desto schärfer blies der Wind, doch auch hier war der nahende Sommer zu spüren. Schon bald konnte Hinrich das Meer riechen, die Wellen ans Ufer schlagen hören. Sobald der Deich fertig war, würden sie mit dem Bau der neuen Siedlung beginnen. Am Hafen könnten sie anfangen. Mit einzelnen Fischerhäusern. Dann wäre es möglich, die ersten Wege zu bauen, weitere Häuser … Krechting sah den neuen Ort bereits vor sich, sah das Leben in den Gassen. Der Schmutz des Lagers würde der Vergangenheit angehören. In jedem Haus könnte eine Manufaktur untergebracht sein, die Holländer waren allesamt grandiose Handwerker. Vom Hafen könnten die Waren direkt in die ganze Welt verschifft werden. Neustadt Gödens, wie Hebrich den Flecken nennen wollte, konnte mit den Täufern zu großem Reichtum erblühen.
    Krechting hatte die Hafenbaustelle erreicht und sah über die vom Wind gekräuselte Wasseroberfläche. Hier lag die Zukunft, deshalb nahm er all das in Kauf.
    Hinrich glaubte ein Geräusch gehört zu haben und drehte sich um. Er verharrte still, hielt den Atem an. Vom Wasser her drang ein Flügelschlag herüber, eine Möwe war aufgeflogen. Dazwischen war nur das Klatschen der Wellen zu hören. Obgleich das Schwarze Brack geschützt lag und nur mit einem Ausläufer

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