Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Beten zusammengepresst, dass die Knöchel weiß wurden, und flüsterte mit einer Inbrunst, die erahnen ließ, was für eine Last er trug, die er aber mit nichts und niemandem in der Welt teilen wollte. Jan war viel zu diskret, um nachzufragen, zumal er selbst genug mit sich herumschleppte.
Die Einfahrt in das Schwarze Brack rückte näher, und mit der Nähe zum Land verdünnte sich auch der Nebel. Erst wirkte er durchlässiger und dünner, dann gab er die dunkle Wasseroberfläche ganz frei. Am Himmel türmten sich keine Wolken, der Sternenhimmel zeigte sich in seiner vollen Pracht. Am Horizont konnte Jan im Mondlicht einen Streifen erkennen, er war sich sicher, dass es der Landstrich war, in dem man ungeduldig auf sein Eintreffen und die Botschaft wartete, die er mitbrachte. Oder besser auf den Mann, den er gar nicht im Schlepp hatte.
Jede Stunde griff Jan in sein Hemd, erspürte das Stück Papier, das sich wieder anfühlte, als würde es sich in seine Haut brennen. Es war gefährlich, es bei sich zu haben, so wagte Jan auch nicht, es in der Nacht vom Körper zu nehmen. Wer wusste schon, ob nicht doch jemand seinen festen Schlaf ausnutzen würde, um die Sachen zu durchwühlen.
Das Schiff wendete leicht und schob sich in südwestliche Richtung. Jan stellte sich an den Bug. Es roch nach Tang und Meer, ein leichter Fischgeruch heftete sich in seine Nase. Er hoffte, noch heute bis zur Burg Gödens zu gelangen und dort auch eingelassen zu werden. Krechting, Schemering und von Ascheburg warteten sicher schon auf ihn. Er hätte längst hier sein sollen, aber dieser Johannes hatte ihn lange hingehalten. Um ihn anschließend hängen zu lassen.
Jan wandte den Kopf, als jemand an seinem Ärmel zupfte. Es war Garbrand, der mit einer sehr ungesunden Gesichtsfarbe vor ihm stand. Selbst im Mondlicht wirkte seine Haut teigig und aufgedunsen, sein Atem war schlecht. Er war so schwach, dass er sich gegen die Reling lehnen musste. »Will doch sehen, wo wir anlanden, wo unsere neue Heimat ist«, keuchte er.
Jan zuckte zurück. Garbrand hatte eben das ausgesprochen, was er selbst die ganze Zeit zu ignorieren versucht hatte. Er hatte mit seinem Leben in Amsterdam abgeschlossen, er war auf dem Weg, neu zu beginnen. Weit weg von ... Weit weg von allem, was ihm bisher das Wertvollste auf der Welt gewesen war. Bis der Hass alles zerstört und ihn zu einem Blatt im Wind gemacht hatte, ohne Ziel, ohne Furcht und ohne Bodenhaftung. Er fuhr nach Ostfriesland, um dort neu zu beginnen, vielleicht wieder sich selbst zulassen zu können. Um dort einfach Jan Valkensteyn zu sein, wenn das überhaupt möglich war.
Nach einer ganzen Weile wurden die Segel eingeholt, die Ruderer legten sich in die Riemen. Die Fahrt des Schiffes verlangsamte sich, sie glitten an den Fangkörben der Fischer vorbei, dann steuerten die Ruderer gegen. Jan sog den Duft der neuen Welt in sich auf. Es roch süßlich, ein bisschen nach Fisch, unterschied sich kaum von den Gerüchen in Amsterdam in der Nähe des Wassers. Als er zur Küste herübersah, reckte sich ein Holzgestell bedrohlich in den frühen Morgen, zeichnete sich dunkel gegen die dahinterliegende Landschaft ab.
»Das ist ein Galgen, Jan!« Garbrand griff nach seinem Arm und umklammerte ihn mit einer solchen Kraft, dass es schmerzte. »Was für ein Empfang! Das Erste, was man sieht, ist ein Galgen. Das kann kein gutes Omen sein!«
Er war jetzt ein paar Sonnenaufgänge lang nicht mehr bei der Frau aufgetaucht, hatte sich die meiste Zeit im Moor versteckt. Wenn er da war, hatte er sich am Burghof herumgeschlichen oder das Haus der Frau beobachtet. Er vermisste sie, hatte aber Angst vor dem anderen Weib. Sie war wie die Menschen im Lager, würde ihn wegjagen, wenn er ihr zu nahe kam. Der große Mann hatte aus dem Kopf geblutet, war aber allein nach Hause gegangen. Sein Gang war schwankend und unsicher gewesen, der Knabe hatte sich immer ein Stück hinter ihm gehalten. Im Gegensatz zum Hinweg hatte der Mann seine Anwesenheit da aber nicht mehr erahnt. Der große Mann war wie benommen. Der Knabe hatte gesehen, wie er zu Boden gegangen war. Das Schicksal hatte entschieden, dass es so war. Aber es war grausam. Der Knabe mochte kein Blut, verabscheute den Geruch. Zu oft hatte er rohes Fleisch essen müssen. Es schmeckte süßlich-scharf, ein bisschen, als wenn er an der Spitze seines Messers lutschte. Aber Blut gehörte zum Tod, und wenn jemand wegsollte, musste es da sein. Das war wie bei den Tieren. Der Mensch war
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