Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
seiner Reise von Jever ins Schwarze Brack hatten ihn seine Erinnerungen eingeholt und auf unerträgliche Weise drangsaliert. Mit jedem Ruderschlag waren seine bösen Gedanken stärker geworden und hatten ihm noch schlimmere Fantasien geschenkt. Wie viele Folterungsmöglichkeiten ihm durch den Kopf geschossen waren, konnte Klaas nicht mehr sagen. Hiske Aalkens Schreie jedoch würden lauter und grausamer sein als alles, was er in seinem Leben vernommen hatte. Sie, die ihm mit ihrem Fluch die Hölle auf Erden beschert und ihm so einen Vorgeschmack auf das verschafft hatte, was ihn im Jenseits an der Seite des Teufels erwartete.
Zusammen mit Remmer von Seediek hatte er nach dem Verschwinden der Toverschen Reiter losgeschickt, doch die Hebamme war mit einer Schläue gesegnet, die gefährlich war. Vermutlich aber hatte ihr der Teufel geholfen, sodass sie es schaffen konnte, sich auf dem nur karg bewachsenen Weg im Silland zu verstecken. Den Reitern war es jedenfalls nicht gut bekommen, dass sie ohne sie zurückgekehrt waren. Klaas hatte Remmer von Seediek dahin gehend gelenkt, den Zorn Fräulein Marias anzuheizen, und so waren die beiden als Warnung im Höllenfeuer gelandet. Er selbst hatte ihnen den Kopf vom Rumpf gefegt.
Doch seine eigene Rechnung mit Hiske Aalken war noch offen. Dieses Weib hatte ihn damals verdammt. In dem Augenblick, als er ihr die Backsteine an die Füße band, um sie der Hexenprobe zu übergeben, waren ihr die bösen Worte herausgerutscht. »Ihr werdet dafür büßen, was Ihr mir antut. Ihr dürft diese Probe nicht machen!« Sie hatte leise gesprochen, es war fast ein Flüstern, aber deutlich genug. Dabei war er von ihrem Hexenspeichel getroffen und vergiftet worden, denn ihre Verwünschungen waren rascher eingetreten, als Klaas es befürchtet hatte. Kurz nach der Hinrichtung der beiden Reiter war er nämlich unter das Hinterrad einer Kutsche gekommen. Während er daran dachte, fiel Klaas sofort dieser unerträgliche Schmerz an. Pfeile waren durch seinen Körper geschossen, abgeprallt und hatten ihren Weg ein zweites und auch ein drittes Mal gefunden, bis eine gnädige Dunkelheit ihn eine Weile umhüllt hatte. Sein Bein war nicht zu retten gewesen. Es grenzte an ein Wunder, dass er noch lebte. Er konnte dieses Martyrium noch immer spüren. Der Wundarzt hatte ihm zwar ein mit Sand gefülltes Stück Leinen zum Draufbeißen in den Mund gesteckt, doch der hatte nichts von der Tortur abhalten können. Und so kamen ihm das Geräusch der Säge und die Qualen der Stunden, in denen er sein Bein verlor, Tag für Tag, Nacht für Nacht, besuchen, setzten sich ihm gegenüber und trieben ihn zu dem grausamen Erleben zurück. Hatte er das überstanden, drängte sich der Geruch des verbrannten Fleisches in die Nase, als sie ihm die Blutgefäße verödeten. Für all das aber war diese Hebamme verantwortlich. Niemals sonst wäre er dermaßen unaufmerksam gewesen und hätte eine Kutsche übersehen. Nach der Amputation hatte ihn das Fieber heimgesucht. Es war lange nicht klar, ob er den Höllenritt überleben würde.
Klaas musste innehalten, die Luft wurde ihm knapp, weil er in seiner Wut ein wenig zu schnell gerudert war. Seine Kurzatmigkeit hatte in der letzten Zeit zugenommen, hin und wieder gesellte sich auch ein bedrohliches Stechen in der linken Brusthälfte dazu. Klaas ignorierte beides. Er warf einen Blick zu den Sternen, über die sich lediglich ein paar dünne Schleierwolken legten. Er würde Hiske Aalken zu fassen bekommen, und sie würde um ihr Leben winseln. Er wusste, wie ihre Augen aussahen, wenn sie sich vor Todesangst weiteten. Er wusste, wie sie sprach, wenn ihr die Unausweichlichkeit ihres Schicksals klar wurde. Denn er, Klaas Krommenga, hatte sie dabei erlebt. Er war kurz davor gewesen, diesem Weib das Leben auszuhauchen, und nichts hätte ihm schon damals mehr Genugtuung bereitet. Er zweifelte nicht daran, dass Hiske mit dem Teufel stärker im Bunde war als alle Weiber, die ihm in seinem Dasein als Scharfrichter unter die Augen gekommen waren. Aber er fürchtete sie nicht mehr, hatte das Weib ihm doch schon alles genommen. Die Unehrenhaftigkeit, die ihm allein durch den Beruf des Scharfrichters anhaftete, war durch den Verlust des Beines zu einer Vernichtung seiner selbst geworden. Er hatte nicht einmal mehr ein Einkommen und war zum Betteln verurteilt gewesen. Dennoch hatte Klaas nicht aufgegeben, hatte sich etwas anderes einfallen lassen, um an Geld zu kommen. Er war ein guter Spieler geworden
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