Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
und konnte sich so über Wasser halten. Mehr schlecht als recht, denn die Gefahr, dass er aufflog, war riesengroß. Aber er hatte sein Auskommen, kam zurecht und konnte zumindest seine schäbige Kammer in der Petersilienstraße behalten.
Klaas Krommenga ruderte weiter, so lange, bis er das Ufer der Neustadt erkannte. Er steuerte gegen, zog das Boot kurz vor dem neuen Siel an Land. Es kostete ihn einiges an Kraft, sich mit dem einen Bein aus dem Boot zu hieven. Aber in den letzten beiden Jahren hatte er eine Behändigkeit entwickelt, die den Verlust wettmachte.
Sein Hass entfachte in ihm eine Glut, die durch nichts mehr gelöscht werden konnte. Er war zum Töten geboren, und Hiske Aalken würde unter seinen schwieligen Händen sterben. Dieses Mal konnte sie ihm nicht entkommen. Dieses Mal würde das Leben in ihren Augen verlöschen. Und wehe, auch nur einer stellte sich ihm in den Weg. Das würde derjenige nicht überleben.
»Was wollte Weib?«, fragte der Wortsammler.
»Zur Lebenspflückerin.« Garbrand fuhr sich mit der Hand über die Tonsur, die nie wieder zugewachsen war und ihn auf ewig als Mönch kennzeichnete, weshalb er auch nie ohne Kopfbedeckung auf die Straße trat.
»War Badersfrau?«
Garbrand nickte. »Die bringt nur Unheil. Hat den falschen Mann. Ein Mann, der ein Mörder ist, und keiner weiß es«, setzte er leise nach. Der Mönch wirkte zerstreut, er schien wegen der Abweisung Magda Dudernixens ein schlechtes Gewissen zu haben.
Der Knabe betrachtete seinen alten Freund. Sie hatten sich den ganzen Abend über den bösen Mann unterhalten. Garbrands Versuch, den Wortsammler ein wenig zu beruhigen, war gescheitert, und so versuchte er noch immer, auf den Knaben einzuwirken. »Er wird bald wieder über das große Meer fahren, und die See wird ihn nicht zurückbringen«, sagte der Mönch und leerte die Flasche Genever weiter. »Für Kaufleute gibt es hier nichts, was sie lange halten könnte. Noch nicht. Wenn das Siel und die Neustadt erst fertig sind, wird es anders sein.«
Anschließend erzählte Garbrand von Jan Valkensteyn, der wieder da war und wie sehr das sein Herz berührte. »Er ist extra zu meinem Wagen auf die Burg gekommen. Müde, wie er war, der Gute!«
Der Wortsammler aber hörte ihm nicht zu, sondern kippte etwas Sand, den sie immer zum Scheuern des Tisches verwendeten, quer über die hölzerne Platte. »Badersfrau krank?«, fragte er dann und fuhr mit dem Zeigefinger im Sand herum.
Garbrand nickte. »Sie meint, sie sei krank. Seit ihr Kind tot ist, meint sie das. Krank sind aber solche Leute wie der Kaufmann, der meint, ihm gehöre die Welt.«
Der Wortsammler atmete heftiger, seine vereinzelt gemalten Linien vertieften sich. Dann wurde sein Finger schneller und schneller, bis der Sand in alle Richtungen spritzte. Wenn der Junge so war wie jetzt, wusste auch Garbrand nicht, wie er damit umgehen sollte, und so ließ er den Knaben vorerst gewähren. Nach einer Weile hatte der sich beruhigt und säuberte Tisch und Boden, als sei nichts gewesen.
»Alles gut, alter Freund?«, fragte Garbrand.
Der Wortsammler nickte. »Alles gut. Badersfrau, Bader und neuer Mann böse.«
Der Knabe war nun ganz ruhig, er hatte mit diesem Ausbruch seine Welt wieder zurechtgerückt. Er setzte sich an den Tisch, schloss die Augen und wankte mit dem Oberkörper leicht vor und zurück.
Garbrand schenkte sich noch einen Genever ein. So schwiegen sie beide, hingen ihren Gedanken nach und lauschten dem Prasseln des Feuers. Mit einem Mal schnellte der Kopf des Wortsammlers hoch. Er verharrte einen Augenblick in dieser Lauerstellung, sprang dann auf, stürzte zur Haustür und riss sie auf.
»Was ist denn los?«, fragte Garbrand. Er erhob sich wesentlich langsamer und schwerfälliger, aber ihm steckte schließlich auch der Genever in den Knochen. Er stellte sich hinter seinen jungen Freund, legte ihm die Hand auf die Schulter und fragte ein zweites Mal. »Was ist denn los?«
Der Knabe winkte ab und lauschte in die Dunkelheit. Dabei kniff er die Augen zusammen, als könne er so besser orten, was er zu hören glaubte. »Katzenweinen«, sagte er nach einer Weile. »Katzenweinen … Weib Katzenweinen.« Danach horchte er noch einmal. Im Gesicht des Knaben vollzog sich eine Wandlung. Der eben noch konzentrierte Ausdruck veränderte sich. Er wirkte gehetzt. »Böser Mann, Katzenweinen!«
Garbrand ahnte, was der Knabe vorhatte, und griff nach seinem Arm. Der wischte die Hand seines Freundes jedoch ab und stürzte in
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