Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
geschlachteten Gänse an Festtagen. Es war eben nicht jeder der geborene Kaufmann mit dem nötigen Guldenpolster, und auch Anneke zeichnete sich ihren Glaubensbrüdern und -schwestern gegenüber nur durch einen sehr schlechten Geschäftssinn aus. Ständig ließ sie sie anschreiben und trieb nur selten die fehlenden Schap ein, wusste sie doch um deren Armut. Anneke war zu weich für das Geschäft. Wenn es nach Grieta ginge, würde im Laden ein ganz anderer Ton herrschen, aber die Marketenderin fragte sie nicht. Sie hielt Grieta und Lina für dumm. Eine böse Unterschätzung, die Anneke schon noch zu spüren bekommen sollte.
Grieta biss sich auf die Lippen, als ihr der gestrige Tag erneut in den Sinn kam. Diese Hebamme hatte Lina zwar fürs Erste gerettet, aber was sie getan hatte, war jenseits aller Göttlichkeit. Hiske Aalken war eine Handlangerin des Teufels, eine Toversche, und sie tat gut daran, sich unter den Täufern zu verstecken, die ihr nicht einmal die Hand abhacken würden, egal, welch Teufelswerk sie vollbrachte. Doch die Täufer verloren an Einfluss, die Reformierten gewannen an Macht. Grieta hatte gehört, dass Gräfin Anna von Ostfriesland die Hexenfeuer durchaus lodern ließ und das nicht selten. Es bestand also die Möglichkeit, dass Hiske Aalken das Handwerk doch eines Tages gelegt werden würde.
Grieta hörte Schritte, schnell ließ sie sich aufs Kissen zurückfallen, stellte sich schlafend. Anneke sah kurz darauf zur Tür herein. »Du sollst dich um Lina kümmern, warum schläfst du?« Ihre Stimme klang schneidender als sonst. »Und lass mal frische Luft rein, hier riecht es wie in der Abtrittgosse.«
Grieta rieb sich die Augen, als sei sie eben erst erwacht. »Ich musste mich mal kurz ausruhen, ich kann ihr Weinen nicht mehr ertragen.«
»Sie hat Schmerzen, das ist normal. Das wirst du als Freundin wohl ertragen können.«
»Sie hat Angst, Anneke. Weil du sie fortschicken willst. Lina taugt nicht zur Wanderhure.«
Anneke nickte. »Du hast ja recht. Wenn die Hebamme ihr Maul hält, dann können wir überlegen, ob ihr bleiben könnt.«
»Ihr?«, fragte Grieta erstaunt. »Ich soll auch fort?«
Anneke räusperte sich. »Kommt drauf an, ob die Hebamme schweigt. Tut sie es nicht …« Sie machte eine bedeutungsschwere Pause.
»Meinst du wirklich, sie wird ihr Schandmaul halten?« Grieta hielt kurz inne. »Ich misstraue ihr. Nach dem, was sie mit Lina getan hat. Nach dem, was man ihr seit langer Zeit immer wieder vorwirft. Du musst dafür sorgen, dass sie schweigt!«
Anneke nickte. »Wir sind in den Fängen dieser Toverschen, ob es uns gefällt oder nicht.«
Grieta schlug tiefer in die Kerbe. »Es wäre für Hiske Aalken ein Leichtes, dich auf diese Weise aus der Herrlichkeit und von Jan Valkensteyn wegzubekommen«, sagte sie. Wohl wissend, dass sie nun Öl in eine Glut kippte, die augenblicklich zu lodern anfing, sobald Anneke die Worte vollkommen erfasst hatte. Ihre Ankündigung, auch sie, Grieta, fortzuschicken, hatte sie tief getroffen. Ihr Schicksal war seit gestern eng mit dem einer Handlangerin des Teufels verknüpft, und nur, wenn Anneke der Hebamme das Maul endgültig stopfte, würden sie bleiben und weiterarbeiten dürfen.
»Das wird sie nicht wagen. Sie wird mich nicht bei Krechting anschwärzen. Das wagt sie nicht!« Annekes Stimme klang verunsichert. »Nicht nach allem, was uns verbindet.«
»Sie wäre dich dann los.«
»Sie ist nicht Valkensteyns Weib. Und soweit ich weiß, hat er auch noch nicht um sie gefreit.« Anneke sah Grieta scharf an. »Und jetzt rüber zu Lina. Ich wünsche, dass du ihr Lager nicht mehr verlässt, bis ich es sage.«
Grieta sprang auf und huschte zu ihrer Gefährtin, die mit geschlossenen Augen und flacher Atmung in ihrer Bettstatt lag und wirkte, als würde sie schon bald die Erde verlassen.
»Ist er weg?« Lina fantasierte. Nur Grieta wusste, warum. Es ging um Friso van Heek, diesen Bastard. Es war gut, dass seine Seele sich nun im Höllenfeuer drehen musste wie das Ferkel über dem Feuer. Lina war zu jung und zart, um einen Mann wie ihn zu ertragen, und doch hatten sie ihn ihr nicht ersparen können. Friso van Heek war nach der langen Enthaltsamkeit nicht zimperlich vorgegangen.
Lina war von dem Augenblick an überzeugt davon gewesen, dass sie in jener Nacht vom Teufel geritten worden war und seine Frucht empfangen hatte. Auch wenn das natürlich keinesfalls möglich war, da die Schwangerschaft ja schon länger bestand. So ganz wies dennoch auch
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