HISTORICAL Band 0264
sich erst richtig auf, bevor Sie hinunterkommen. Dann werde ich ein Mahl für Sie bereithalten.“
„Machen Sie um Gottes willen keine Umstände.“
„Genießen Sie ruhig die Gastfreundschaft Seiner Lordschaft. Er hat selten genug Gäste. Und geben Sie mir bitte die nassen Sachen. Sie müssen wissen, abgesehen von großen Gesellschaften sind Sie der erste Gast. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen.“
Oder auch nicht, dachte Blair und hätte beim besten Willen nicht sagen können, welche Gefühle sie bewegten, dass sie sich so unvermutet in diesem Haus wiederfand. Noch dazu in diesem Zustand, ausgezogen und im Begriff, in die Badewanne zu steigen. Eigentlich hatte Cameron sich ihr gegenüber in der vergangenen Stunde überaus ritterlich benommen, als er sie vom Betreten der baufälligen Hütte abhielt. War es Mitgefühl gewesen, oder regte sich das lange schlummernde Conneryerbe wieder in ihm? Nein, sie wollte sich lieber keinen falschen Hoffnungen hingeben. Dagegen wehrte sich ihr realistischer Sinn. Doch das Herz riet ihr, keine voreilige Antwort zu finden.
Sie stieg in die Wanne und verbannte jeden Gedanken, genoss nur noch das Vergnügen des heißen, zart nach Lavendel duftenden und die verkrampften Muskeln entspannenden Wassers. Kälte und Schmerz schwanden, und Blair hatte das Gefühl, endlich wieder eine Frau zu sein. Sie hatte sich seit langer Zeit nicht mehr so verwöhnt und nun beinahe ein schlechtes Gewissen, den Luxus des Bades zu genießen. Sie tauchte tief ein in die Wärme und den köstlichen Duft. Mit der parfümierten Seife, die Mrs. Pearson ihr hingelegt hatte, wusch sie das offene Haar.
Unvermittelt wich die wohltuende Trägheit, und ein höchst ungebetener Gedanke zuckte Blair durch den Kopf. Sie setzte sich auf und fragte sich, wie es kam, dass es in diesem von einem Mann bewohnten Haus Parfüm und Toilettenseife gab? Hatte Cameron etwa eine Geliebte? Soweit Blair gehört hatte, war dergleichen in London an der Tagesordnung. Diese kostspieligen Dinge stammten gewiss nicht aus dem Besitz der Haushälterin.
Es war totenstill, und plötzlich hörte Blair von Weitem Mrs. Pearsons Stimme. Vermutlich lag die Küche unter dem Badezimmer.
„Sie ist wirklich entzückend, Mylord, wirklich. Ich fürchte nur, dass ihr Miss Eloises Kleider nicht richtig passen.“
Miss Eloise! Wer, in aller Welt, war das? Cameron hatte keine Geschwister, und der Name seiner toten Mutter war Mary. Wie konnte er es wagen, Blair Kleider anzubieten, die einer anderen gehörten, und dann noch annehmen, sie würde sie tragen? Die anfänglichen Befürchtungen waren also durchaus berechtigt gewesen. Den Kindheitsgespielen gab es nicht mehr, und der Cameron von heute war ein Schuft und taugte nichts. Sie hörte nicht, was er antwortete, und stieg wütend aus dem Bad, fest entschlossen, das Haus so schnell wie möglich zu verlassen. Aber nackt konnte sie schließlich nicht hinaus. Erbost wickelte sie sich in ein großes Handtuch und ging empört in das angrenzende Zimmer, um vor dem Kamin das Haar zu trocknen. Auf keinen Fall würde sie das zartgrüne Kleid anziehen, das einladend auf dem Bett ausgebreitet lag. Mit verächtlicher Bewegung knüllte sie es zusammen. Wie weich es sich anfühlte, seidig und kostbar! Nein, sie würde der Versuchung widerstehen. Gewiss ließen sich in Lord Lindsays Schränken Hemd und Schottenrock finden. Das schien immer noch schicklicher, als ein Kleid seiner Liebsten zu tragen. Wenn das immer noch tobende Unwetter die Sachen verdarb, tat es auch nichts.
Sie war sich bewusst, dass sie sich eigentlich schämen sollte, in den persönlichen Dingen des Earl zu kramen, doch das Erstaunen war größer. Wie elegant und aus welch kostspieligen Stoffen die Gehröcke und Hosen doch waren! Mit seinem guten Aussehen und so blendend angezogen musste er in der Londoner Gesellschaft eine glänzende Figur machen. Blair versuchte sich vorzustellen, wie er in den engen Hosen aus feinster Wolle wirken mochte, die sicher jede Linie der strammen Beine betonten.
Als hätten die Gedanken ihn angelockt, stand er plötzlich in der Tür, mit einem seidenen Morgenmantel bekleidet. Allem Anschein nach war er gekommen, um sich etwas zu holen. Bei Blairs Anblick verhielt er einen Moment den Schritt und sah sie verlangend an. Er war nicht darauf gefasst gewesen, dass sie das Badezimmer bereits verlassen hatte und halb nackt in seinem Schlafzimmer stehen würde. Wie oft hatte er sie in der Fantasie hier gesehen! Jäh brach
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