HISTORICAL Band 0264
außer sich vor Zorn.
„Danke, Mary“, sagte Sally. Sie erhob sich und nickte ihrer Sekretärin zu, sie könnte jetzt gehen. Mittlerweile klopfte ihr Herz vor Angst. Jacks schroffer Ton und die Abneigung in seinem Blick erinnerten sie nur allzu gut an ihre erste Begegnung mit ihm – noch ehe sie zusammen zu Abend gegessen hatten, noch ehe er sie geküsst hatte, noch vor dieser stürmischen, leidenschaftlichen Liebesnacht. Sie war völlig verwirrt, als hätte jemand die Uhren zurückgedreht und alles, was sie in den letzten beiden Tagen erlebt hatte, wäre nie gewesen.
„Das hier“,sagte sie mit Rücksicht auf ihr Personal im Vorzimmer so ruhig wie möglich, „ähnelt beunruhigend Ihrem Erscheinen vor zwei Tagen, Mr. Kestrel.“
Jack warf einen kleinen Stapel Papiere auf ihren Schreibtisch. „Bestreiten Sie, dass Sie Ihre Schwester 1906 bei zwei Schadensersatzklagen unterstützt haben? Einmal, nachdem sie mit einem Mann durchgebrannt war, und einmal wegen Bruchs des Eheversprechens, Miss Bowes?“, wollte er wissen.
Sally wurde flau im Magen, ihr war ein wenig übel. Also hatte Jack in Connies Vergangenheit gewühlt. Damit musste er schon begonnen haben, ehe sie sich begegnet waren, trotzdem fühlte sie sich schrecklich hintergangen. Sie dachte an die vergangene Nacht, an alles, was sie da getan hatte, an die glühenden, innigen Liebkosungen, die sie ihm gestattet hatte, und schloss die Augen. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er ihr die ganze Zeit über nicht getraut hatte. Selbst jetzt vermochten die Erinnerungen sie vor Sehnsucht zum Schmelzen zu bringen, und das, obwohl er kalt und unnahbar wie ein Fremder vor ihr stand. Das war demütigend. Was aber am meisten wehtat, war die Tatsache, dass sie ihn geliebt hatte und trotz allem immer noch liebte.
Sie schlug die Augen wieder auf. „Sie hatten es eilig, Nachforschungen in unserer Angelegenheit anzustellen, Sir“, sagte sie steif.
„Selbstverständlich.“ Seine Miene war wie versteinert. „Haben Sie gedacht, ich würde mich allein auf Ihr Wort verlassen, Miss Bowes? Wie überraschend naiv für eine Frau wie Sie!“ Er ließ den Blick abschätzend und beinahe unverschämt von ihren schlichten braunen Schuhen bis hinauf zu ihrem ordentlich hochgesteckten Haar wandern. „Ich muss sagen, Sie sind in den letzten Tagen überaus überzeugend aufgetreten. Ich hätte Sie beinahe für aufrichtig gehalten. Sie sind offensichtlich darin geübt und sehr raffiniert.“
Seine Verachtung war für sie wie ein Messerstich ins Herz. „Sie unterliegen da einem großen Irrtum!“, erwiderte sie. „Ja, ich habe Connie bei dieser Klage wegen Bruchs des Eheversprechens vor zwei Jahren unterstützt, aber sie war grausam enttäuscht worden, und ich wollte ihr helfen …“
„Ach, ersparen Sie mir falsche Unschuldsbeteuerungen.“ Der Hohn in Jacks Stimme war vernichtend. „Der Versuch Ihrer Schwester, meinen Onkel zu erpressen, passt doch genau ins Bild. Offenbar bereichern Sie beide sich schon seit Jahren bei anderen.“
Sallys Zorn verdrängte all ihre anderen Empfindungen. „Was unterstehen Sie sich? Das ist nicht wahr!“
Jack tippte auf den Papierstapel. „Hier stehen alle Einzelheiten, Miss Bowes.“ Er straffte sich. „Chavenage, Pettifer, und nun wollen Sie auch noch meinen Cousin Ihrer Liste hinzufügen.“
Sally war schwindelig. Sie wusste, dass diese Fälle belastend aussahen, aber es tat ihr unsagbar weh, dass Jack gekommen war und sie sofort angeklagt hatte, statt sie nach der Wahrheit zu fragen. Sie kannten sich erst kurze Zeit, dennoch hatte sie gehofft, dass das für ihn ausreichen würde, ihr zu vertrauen. Nur war das offensichtlich nicht der Fall. Er konnte mit ihr schlafen, ohne dabei etwas in seinem Herzen zu empfinden. Noch nicht einmal Respekt hatte er vor ihr. Wie anders geartet waren doch ihre Gefühle für ihn …
„Mir ist klar, dass die Klage wegen Bruchs des Eheversprechens kein gutes Licht auf uns wirft“, verteidigte sie sich verzweifelt. „Aber wenn Sie mich doch nur erklären lassen würden! Connie hat John Pettifer geliebt. Als er sie verließ, stürzte sie das in abgrundtiefes Leid.“ Sie verstummte, als sie Jacks völlig ungläubige Miene sah.
„Sie brechen mir das Herz, Miss Bowes“, entgegnete er zynisch. „In Wirklichkeit ist Ihre Schwester ganz allein aufs Geld aus, und Sie sind dabei die Kupplerin!“ Er betrachtete sie nachdenklich, und Sally schoss das Blut in die Wangen, weil sie wusste, dass er an
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