HISTORICAL Band 0264
weiter aufklären wollen, werde ich mein Personal herbeirufen müssen, damit man Sie hinausbegleitet.“
Er ließ lachend die Hand sinken. „Das würde ich gern mit ansehen! Aber ich komme mit dem größten Vergnügen zur Sache, Miss Bowes.“ Er sprach mit trügerischer Freundlichkeit. „Ich bin gekommen, um die Briefe abzuholen, die Ihnen mein törichter Cousin Bertie Basset geschrieben hat. Die Briefe, die Sie zu veröffentlichen drohen, sollte sein sterbender Vater Sie nicht ausbezahlen.“
Seine Worte ergaben für Sally keinerlei Sinn. Natürlich kannte sie Bertie Basset. Er war ein junger Adelsspross, charmant, aber nicht sonderlich mit Verstand gesegnet, der oft in den Club kam, um mit den Mädchen zu trinken und um hohe Einsätze zu spielen. Als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte ihre Schwester Connie auf seinem Schoß gesessen, während er im Grünen Zimmer Poker spielte.
Connie … natürlich …
Sally überlegte. Jack hatte die „schöne Miss Bowes“ erwähnt, aber es war ihre jüngste Schwester Connie, die man so nannte. Wenn Jack Kestrels Berührung sie nicht so verwirrt hätte, wäre ihr schon früher klar geworden, dass er sie mit Connie verwechselt haben musste. Miss Constance Bowes war in der Tat so schön, dass die Herren Sonette über ihre Augenbrauen schrieben und sich zu extravaganten Versprechungen hinreißen ließen, aus denen Connie geschickt Kapital schlug. Sally hatte ihre Schwester jedoch nie um ihr Aussehen beneidet, dazu war sie schlichtweg zu intelligent.
Jack Kestrel beobachtete die vielen Emotionen, die über ihr Gesicht huschten. „Nun“, begann er nachdenklich, „als ich die Angelegenheit das erste Mal erwähnte, hatten Sie nicht die geringste Ahnung, wovon ich redete, oder, Miss Bowes? Und dann haben Sie ganz plötzlich verstanden.“
„Woher wollen Sie das wissen?“, brauste Sally auf. Sie ärgerte sich über sich selbst, dass sie so viel von sich preisgegeben hatte.
„Sie haben ein sehr ausdrucksstarkes Gesicht.“ Jack ließ sich auf der Kante ihres Schreibtischs nieder. „Sie sind also nicht Berties Geliebte. Das hätte ich mir eigentlich denken können. Er wäre ein viel zu junger und unbeholfener Partner für Sie, Miss Bowes.“
„Während Sie, Mr. Kestrel“, gab Sally kühl zurück, „ohne Zweifel und wahrscheinlich zu Recht von sich behaupten, weitaus erfahrener zu sein.“
Jack bedachte sie mit einem sündhaft durchtriebenen Grinsen. Für eine Sekunde fühlte Sally sich an die vergangene Nacht erinnert, und ihre Knie drohten nachzugeben. „Selbstverständlich“, stimmte er zu. „Und bitte, nennen Sie mich Jack. Ich denke, Formalitäten sind in diesem Hause fehl am Platz.“
Das stimmte sogar, aber Sally hatte nicht vor, sich von Jack Kestrel sagen zu lassen, wie sie sich in ihrem eigenen Club verhalten sollte. „Mr. Kestrel, wir schweifen vom Thema ab. Wie Sie so scharfsinnig bemerkt haben, bin ich nicht die Geliebte Ihres Cousins. Diese Angelegenheit ist vollkommen neu für mich. Ich denke, hier liegt ein Missverständnis vor.“
Jack seufzte, und seine Gesichtszüge verhärteten sich wieder. „In Fällen wie diesen ist das meistens so, Miss Bowes. Das Missverständnis in diesem Fall besteht darin, dass mein Onkel eine große Summe Geld zahlen soll.“
Zornesröte schoss Sally in die Wangen. „Ich versuche nicht, jemanden zu erpressen!“
„Vielleicht nicht.“ Mit einer fließenden Bewegung stellte Jack sich wieder hin. „Ich glaube aber, dass Sie wissen, wer das tut.“
Sally starrte ihn an und dachte fieberhaft nach. Wenn sie richtig vermutete, hatte ihre Schwester Connie, der Liebling der Londoner, eine monumentale Torheit begangen und versucht, ein Mitglied des Hochadels zu erpressen. Leider war das gar nicht so unwahrscheinlich, denn Connie mochte zwar unglaublich hübsch sein, aber übermäßig intelligent war sie nicht. Und sie war verwöhnt. Wenn sie nicht das bekam, was sie wollte, stampfte sie mit dem Fuß auf. Und wenn sie es auf Bertie abgesehen hatte und die Affäre unglücklich verlaufen war, dann war es sehr gut möglich, dass sie versuchte, sich dafür zu entschädigen. Die Folge dieses ganzen Irrsinns war, dass Jack Kestrel jetzt wütend und unnachgiebig in Sally Büro stand.
„Vielleicht ist Ihre Schwester ja die Schuldige“, meinte Jack sanft, und Sally zuckte zusammen. Konnte er so leicht ihre Gedanken lesen? „Ich bin ihr noch nie begegnet, aber ich habe von ihr gehört. Sie arbeitet auch hier, nicht
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