HISTORICAL Band 0264
stehen, straffte die Schultern und drehte sich um. Es brauchte keine Worte, dem Unmut Ausdruck zu geben, den sie über die unhöfliche Art der Begrüßung empfand.
„Mylord“, erwiderte sie kühl.
„Ich freue mich sehr, Sie zu treffen, Miss Duncan“, antwortete Lord Lindsay und sah sie heiter an. „Kennen sie Lord Haverbrook?“
„Harry“, wandte er sich an seinen Begleiter, „das ist Miss Blair Duncan, eine Freundin aus Kindertagen.“
Harry Rogers, Earl of Haverbrook, war ganz das Gegenteil von Cameron Montgomery, Earl of Lindsay. Lord Haverbrook ging an die vierzig und war untersetzt und rundlich. Das unter dem Zylinder hervorlugende Haar war schon grau und das Gesicht ziemlich weich. Lord Lindsay dagegen mochte Ende zwanzig sein, war hochgewachsen und kräftig. Sein dichtes schwarzes Haar unterstrich die regelmäßigen, angenehmen Gesichtszüge, denen die Überraschung, in Glenmuir Miss Duncan zu begegnen, anzusehen war. Das Einzige, was er mit Lord Haverbrook gemeinsam hatte, war die klare, vornehme Ausdrucksweise.
„Ich weiß nicht genau, ob ich schon das Vergnügen hatte“, sagte Lord Haverbrook, sichtlich beeindruckt von Miss Duncans Schönheit, deren schäbiges Äußeres im Dämmerlicht nicht weiter auffiel. „Du bist mit dieser reizenden Dame schon von Kindheit an bekannt, Cameron? Ich gestehe, es war mir entfallen, dass deine Mutter aus Schottland stammt.“
„Ich würde schwören, dass auch Lord Lindsay es längst vergessen hat“, murmelte Miss Duncan, schaute ihn vorwurfsvoll und stumm herausfordernd an.
Er zwang sich zu einem Lächeln, obwohl die Begrüßung der schönen, heißblütigen Hochländerin ihm tiefe Enttäuschung bereitete. Ohne auf die deutliche Beleidigung einzugehen, wandte er sich wieder an Haverbrook, verbarg die Bestürzung und erwiderte beiläufig: „Gewiss, Harry, Vater heiratete eine Connery. Ich erinnere mich an manchen überaus angenehmen Sommer, den ich als Knabe hier verbrachte, und an lustige Streiche mit Miss Duncan. Damals war ich ganz sicher, ich würde mich eines Tages auf den Connery-Gütern niederlassen und Miss Duncan heiraten.“
„Das beweist einmal mehr, dass Kindheitsträume hoffnungsloser Unsinn sind“, äußerte Blair schroff und war froh, dass die rasch zunehmende Dunkelheit die Röte ihrer Wangen verschleierte. Wie konnte Lord Lindsay so unverschämt sein, sich über ihre Erinnerungen lustig zu machen, die kindischen Schwüre von damals, noch dazu vor einem Fremden? Sie beschloss, das Gespräch mit den Dörflern zu unterlassen, obwohl sie die Begegnung mit dem Earl of Lindsay neugierig beobachteten. Sein Erscheinen hatte ihr gründlich die Laune verdorben. Sie wünschte sich nichts mehr, als nach Haus zurückzukehren. In diesem Augenblick erschien es ihr wie ein Ort beschaulichen Friedens und nicht wie sonst als Hort der Einsamkeit. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, Gentlemen. Ich muss sehen, dass ich weiterkomme“, sagte sie.
Die Stimme klang kalt, ohne die geringste Spur des warmen Lachens, an das Cameron, Earl of Lindsay, sich erinnerte, aus einer Zeit, die nun schon lange zurücklag. „Darf ich Sie in meiner Kutsche heimbringen, Miss Duncan?“, erkundigte er sich höflich und stellte sich ihr in den Weg, unwillens, sie schon gehen zu lassen. Lieber wollte er ihre schlechte Laune noch ein Weilchen ertragen.
„Das ist nicht nötig“, lehnte Miss Duncan sein Anerbieten ab. „Es ist nicht weit, und ich bin gern ein wenig an der frischen Luft.“
Die Dörfler steckten die Köpfe zusammen und gaben sich keine Mühe, so zu tun, als hätten sie nichts gehört oder gesehen.
„Auch in der Kälte, Madam?“, fragte der Earl und zog zweifelnd eine Braue hoch. „Erweisen Sie mir die Ehre, und gestatten Sie mir, Sie zu begleiten“, drängte er in fürsorglichem Ton. „Es ist fast dunkel, und ich möchte sicher sein, dass Sie wohlbehalten ankommen.“
„Als ob mir von einem Einheimischen Gefahr drohen würde!“, lachte Miss Duncan auf und warf den Kopf in den Nacken. „Ich habe höchstens von Fremden etwas zu befürchten, mit denen ich für gewöhnlich nicht zu reden pflege.“
„Madam“, wandte er ungeduldig ein.
„Bemühen Sie sich nicht, Mylord! Ich habe den gleichen Weg wie Miss Duncan und werde sie gern begleiten“, mischte sich Ian Ferguson ein und trat näher. Er nahm ihr den Korb ab und fragte sich, ob der Earl ihr wohl in jüngster Zeit einen neuen Heiratsantrag gemacht und sich eine Abfuhr geholt habe.
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