HISTORICAL Band 0264
Aussehen die Männer veranlasste, rasch ein zweites Mal hinzusehen. Rotbraunes Haar umrahmte ein schönes, feingeschnittenes Gesicht mit klaren blauen Augen, das dennoch einen festen Willen, vielleicht sogar Starrsinn verriet. Miss Blair war mittelgroß und trug über dem braunen Kleid ein altes, abgenutztes Schultertuch, das ihre weiblichen Formen jedoch nicht verbarg. Die Blicke der Dörfler richteten sich trotz des schäbigen Äußeren mit einem Ausdruck von Achtung auf sie, als sie am Ende der Straße erschien und über das Kopfsteinpflaster dem Laden von MacGregor & Son zustrebte.
„Oh, da kommt Miss Duncan! Ist sie nicht ein nettes Mädchen?“, flüsterte Mrs. MacNab, eine mütterliche Matrone, die durch die Erziehung ihrer neun Söhne frühzeitig ergraut war.
„Ja, und Mut hat sie auch“, antwortete Ian Ferguson, und ein Lächeln erhellte sein sonst meist mürrisches Gesicht. „Das hat sie von ihrem Vater. Er hat seinen Stolz nicht wie andere schottische Adelige begraben und ist den finanziellen Verlockungen reicher Engländer erlegen. Jaime Duncan war ein hitziger und stolzer Schotte, dem es wie Verrat, wie Kapitulation vor dem Feind, erschienen wäre, seinen Besitz mit englischem Geld zu retten.“
„Zu schade, dass wir erst nach seinem Tod begriffen haben, was ihn dieser Heldenmut gekostet hat“, warf Fergusons Vetter Charlie ein. „Die arme Miss Duncan! Ihr Vater hat ihr kaum mehr hinterlassen als die Ländereien der Duncans und das beinahe leerstehende Herrenhaus.“
„Wir hätten doch nichts tun können“, wandte Ferguson kopfschüttelnd ein. Unversehens fiel es ihm schwer, die frühere Freude zu wahren. „Wir selbst haben ja nicht genug zu beißen. Gottlob hat Miss Duncan den Mut, ihren Besitz nicht irgendeinem englischen Adeligen zu verkaufen. Es gibt schon viel zu viele davon in der Gegend.“
„Ja. In den vergangenen Jahren hat Glenmuir die Hälfte der Bewohner verloren“, bestätigte Charlie Ferguson. „Das muss man sich vorstellen! Ganze Familien haben die englischen Aristokraten auf die Straße gesetzt, nur damit sie große Jagdgebiete bekommen. Zu dumm, dass die Königin eine solche Vorliebe für die Highlands hat! Sonst wären die verdammten Eindringlinge geblieben, wo sie hingehören.“
„Recht hast du! Dann müssten auch nicht so viele Schotten die Heimat verlassen, um überleben zu können.“
„Wir sind geblieben, nicht wahr? Wir werden es auch weiterhin schaffen, genau wie Miss Duncan“, sagte Mrs. MacNab, trat zu den Männern und senkte die Stimme, da Blair Duncan näher kam. „Es ist hart für sie, von der Hand in den Mund leben zu müssen, nachdem sie als Kind alles hatte! Aber sie ist stark. Natürlich hat sie jedes Angebot ausgeschlagen, ihren Landbesitz zu verkaufen. Aber wisst ihr auch, dass sie noch andere Anträge zurückgewiesen hat?“
„Welche denn?“, fragte Charlie Ferguson.
„Heiratsanträge! Und welches junge Mädchen in ihrem Alter würde nicht von einem eigenen Heim und schönen Kleidern träumen?“
„So etwas bedeutet nicht viel für sie“, entgegnete Ian Ferguson. „Sie hat den Stolz der Duncans und macht sich nichts aus Tand. Trotz ihrer vornehmen Herkunft ist sie eine von uns. Warum sollte sie einen Engländer heiraten?“
„Ian, ich glaube, du wirst alt! Kannst du dir nicht vorstellen, was einem hübschen Mädchen wie Blair Duncan bei einem kräftigen Burschen in den Sinn kommt, sei er nun ein Engländer oder nicht?“, stichelte Charlie Ferguson und bemerkte belustigt die saure Miene, die sein Vetter zog.
„Miss Duncan ist viel zu klug, um aus Leidenschaft den Kopf zu verlieren. Meinst du etwa, sie hätte am Beispiel von Mary Connery nichts gelernt, die diesen englischen Dieb Montgomery geheiratet hat?“, gab Ian scharf zurück und starrte dem Cousin herausfordernd ins Gesicht. „Kaum war die arme Mary unter der Erde, verschwand Montgomery nach England und nahm den Sohn mit. Und danach haben die Montgomerys nichts mehr von sich hören lassen, bis die Ländereien verkauft wurden. Nein, englisches Blut erhitzt sich nicht, mag die Leidenschaft auch noch so heiß sein.“
„Nun hört endlich auf, euch zu zanken! Weihnachten steht vor der Tür! Außerdem schickt es sich nicht, dass Miss Duncan euch so reden hört, umso weniger, da sie früher ein Herz für den Jungen hatte“, schalt Mrs. MacNab empört, als seien die Männer neben ihr zwei der eigenen ungeratenen Sprösslinge. Um dem Streit ein Ende zu machen, drehte sie sich
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