HISTORICAL Band 0264
Warum war Lord Lindsay sonst so beharrlich? Die Hartnäckigkeit mochte allerdings auch ein Erbteil des väterlichen englischen Blutes sein! Ian war fest entschlossen, Miss Duncan zumindest seinen Schutz gegen die unwillkommenen Fremden aufzunötigen, auch wenn er ihr als alter Mann sonst nicht viel zu bieten hatte.
„Danke, Ian“, antwortete Miss Duncan liebenswürdig und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Für den Earl hatte sie nur ein hochmütiges Nicken.
Ehe er auch nur ein Wort sagen konnte, waren die beiden bereits auf dem Weg aus dem Dorf.
„Auf bald!“, rief Charlie Ferguson ihnen lachend nach. „Wenn wir uns nicht vorher sehen, hoffe ich, dass der Weihnachtsengel zu euch kommt!“
„Das wünsche ich dir auch!“, sagte Ian fröhlich, schaute über die Schulter zurück und zwinkerte dem Vetter verschmitzt zu.
„Wie schön, dass die Einheimischen sich so über die Festtage freuen“, murmelte Lord Lindsay, die Anwesenheit des Freundes vergessend. Blair Duncan hatte ihn nun doch stehen gelassen!
„Sei nicht albern!“, brummte Lord Haverbrook. „Du weißt recht gut, was sie gemeint haben. Die Schotten begehen Weihnachten nicht so wie wir.“
„Das trifft auf die Bewohner der Lowlands zu, Harry. Dort spielt Silvester die größere Rolle. Aber die Hochländer haben Weihnachten immer gefeiert.“
„Sei es, wie es sei, die Kerle haben jedenfalls nicht über das Christfest gesprochen. Dir ist doch klar, dass es eine nur dürftig verschleierte Anspielung auf die Diebereien war, die zu dieser Zeit hier in der Gegend vorkommen und vornehmlich gegen uns Engländer gerichtet sind! Es ist kein Geheimnis, dass die Leute in den Dörfern der Umgebung den Halunken nur deshalb den Engel der Weihnacht nennen, weil er wie ein Geist erscheint und verschwindet, ohne dass man ihn je zu Gesicht bekommen hätte. Welche Frechheit, in unserer Gegenwart von ihm zu reden!“
„Du meinst diese Art neuer Robin Hood, der uns in den letzten Jahren heimgesucht hat? Er bestiehlt die Reichen und beschenkt die Armen.“
„Und ob ich ihn meine!“, bestätigte der Earl of Haverbrook empört. „Einige von uns haben durch ihn solche Verluste zu beklagen, dass mancher Engländer lieber die Festtage hier oben verbringt, statt nach London zurückzukehren.“
„Das wird aber sehr langweilig für dich werden!“, sagte Lord Lindsay und schaute, nachdem Miss Duncan mit ihrem Beschützer verschwunden war, seinen Freund an.
„Wirklich? Du bist nach dem Ende der Jagdsaison ja noch bis Januar geblieben. Ist es tatsächlich so schlimm?“
„Eigentlich nicht. Allerdings muss ich dich warnen. Meine Anwesenheit hat weder geholfen, mich vor Diebstahl zu bewahren, noch, den Räuber zu fangen. Wir wollen hoffen, ihr anderen habt mehr Glück als ich“, sagte der Earl of Lindsay gedehnt und gab seinem Kutscher ein Zeichen. Sofort setzte die Equipage sich in Bewegung.
„Dessen bin ich sicher“, verkündete Lord Haverbrook großspurig und machte es sich in der Karosse bequem. „Meiner Meinung nach hattest du hier andere Dinge im Kopf, vielleicht sogar Miss Duncan?“
„Ich habe sie kaum gesehen, wenn ich mich in Schottland aufhielt“, entgegnete Lord Lindsay.
„Bestimmt nicht, weil du es so wolltest.“ Lord Haverbrook grinste. „Nicht, dass ich dir einen Vorwurf daraus mache, falls du dich um sie bemüht hast.“ Die junge Dame besitzt ansehnliche Güter. Stell dir vor, welch fabelhaftes Jagdgelände das sein könnte! Wäre ich ungebunden, würde ich ihr den Hof machen. Da kommt mir ein Gedanke! Einer meiner Brüder hat einen Sohn im passenden Alter. Vielleicht sollte ich ihn zu einem Besuch in den Highlands bewegen?“
„Spar dir Geld und Mühe, Harry! Ich habe ganz den Eindruck, dass Miss Duncan an uns Engländern kein Interesse zeigt“, stellte Lord Lindsay sehr entschieden fest und stützte ein Bein auf den gegenüberliegenden Sitz.
„Du darfst nicht lockerlassen, Cameron. Schließlich ist es nicht der Fuchs, der die Meute auffordert, ihn zu verfolgen. Die meisten Damen gestehen dir einen gewissen Charme zu. Also lass den Kopf nicht hängen, und gib nicht so schnell auf. Gewiss wird Miss Duncan schließlich deiner Ausstrahlung erliegen, wenn du nur genug Ausdauer aufbringst. Immerhin hast auch du schottisches Blut in den Adern. Damit hast du eine bessere Chance, die schöne Miss Duncan samt ihrem Besitz zu erobern.“
„Vielleicht hast du recht“, murmelte der Earl of Lindsay nachdenklich. „Vielleicht habe ich
Weitere Kostenlose Bücher