HISTORICAL Band 0264
Wiedersehen mit ihrer Jugendliebe konnte alle Vorsätze ins Wanken bringen. Jeder Blick in sein attraktives Gesicht würde ihren Widerstand schwächen, den Zorn mindern, an ihrem Misstrauen rütteln. Aber sie wollte nicht gezwungen sein, eine Cameron Montgomery betreffende Entscheidung zu fällen, solange sie nicht sicher war, ob sie noch liebevolle Regungen für ihn im Herzen trug. Warum konnte er sie nicht einfach in Ruhe lassen und nach London zurückkehren? Gewiss gab es dort genügend schöne Frauen, die dem begüterten Earl of Lindsay Avancen machten!
In Gedanken verloren, überhörte sie die Schritte, die vor der offenen Küchentür anhielten. In diesem Moment der Arglosigkeit war etwas sehr Verletzliches an Blair Duncan. Das Licht der Sonne spielte auf dem braunen Haar, das wie Kupfer leuchtete. Blair hatte nur den einen Gedanken, Lord Lindsay unter allen Umständen aus dem Wege zu gehen.
„Ah, man genießt ein geruhsames Frühstück?“, ließ eine dunkle und sehr vertraute Stimme sich vernehmen. Blair fürchtete, die Erinnerungen hätten ein Gespenst aus der Vergangenheit heraufbeschworen, und wandte den Kopf. Aber ihr überreizter Verstand hatte ihr nichts vorgegaukelt. Cameron Montgomery, Earl of Lindsay, stand tatsächlich auf der Schwelle. Es war mehrere Jahre her, seit Blair ihn dort zum letzten Male gesehen hatte. Jetzt schien seine hochgewachsene Gestalt den Rahmen zu füllen, gefährlicher denn je.
„Was wollen Sie hier?“, fragte Blair Duncan und versuchte, die abgearbeiteten Hände im Schoß zu verbergen.
Lord Lindsay hatte mit einem einzigen Blick das ärmliche Kleid und den trostlosen Zustand der Küche erfasst und bemühte sich, sein Mitgefühl nicht zu verraten und Miss Duncan betroffen zu machen. „Nun, ich kam, weil ich wissen wollte, ob Sie noch hier leben“, erwiderte er leichthin. Sie sollte nicht wissen, wie sehr es ihn schmerzte, sie in diesem Zustand vorzufinden. „Die letzten Male hieß es immer, Sie seien nicht da. Ich fürchtete schon, Sie könnten den Wohnsitz gewechselt haben.“
„Nein, glücklicherweise war ich bisher noch nicht dazu gezwungen“, sagte sie trocken.
„Das sehe ich.“ Der Earl bückte sich, um nicht an den Türrahmen zu stoßen, und trat über die Schwelle. „Übrigens können Sie es nicht mir anlasten, dass ich über Ihre Anwesenheit im Unklaren war. Mrs. Brown bewacht Sie ja wie ein Hofhund! Da ich sie heute mit Robbie im Dorf sah, hielt ich die Gelegenheit für günstig, Ihnen endlich einen Besuch abzustatten. Aber was ist aus der berühmten Hochland-Gastfreundschaft geworden? Wollen Sie mich nicht zum Frühstück bitten, Miss Duncan?“
„Mrs. Brown würde bestimmt sehr böse, wenn sie Sie so reden hörte“, tadelte Blair den Earl.
„Dann wollen wir es ihr auch nicht mitteilen, nicht wahr?“, sagte er verschwörerisch flüsternd und beugte sich näher zu Miss Duncan.
Seine Nähe verunsicherte sie noch mehr. Sie sprang auf, goss Tee in eine Tasse und füllte am Herd ein Schüsselchen mit Porridge, hin- und hergerissen zwischen der Verpflichtung, Lord Lindsay zu bewirten, und dem dringenden Wunsch, schnellstens die Flucht zu ergreifen. Sie stellte Tasse und Napf auf den Tisch und holte noch die Zuckerdose. Betont freundlich äußerte sie dabei: „Sie nehmen doch gewiss Zucker.“
Der Earl of Lindsay überhörte die Spitze nicht. Schotten pflegten Porridge zu salzen, nur Engländer aßen ihn gesüßt. Unter dem Deckmantel der Höflichkeit gab Miss Duncan ihm zu verstehen, dass er für sie ein Eindringling war. Er lächelte unwillkürlich. Sie hatte nichts von ihrem hitzigen Temperament eingebüßt.
„Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?“, fragte er und wies auf den Stuhl neben sich.
Die Worte klangen zweideutiger, als Blair lieb war, und auch das verlangende Glitzern in seinem eindringlichen Blick störte sie. Hoffentlich kamen Mrs. Brown und Robbie so bald wie möglich zurück!
„Es wäre nicht sehr höflich, mich allein am Tisch sitzen zu lassen“, sagte Lord Lindsay herausfordernd. „Außerdem gibt es keinen Grund, es sei denn, Sie hätten Angst vor mir.“
„Es wird nie so weit kommen, dass ich mich vor einem Engländer fürchte!“, erwiderte Blair heftig und setzte sich rasch, ehe sie anderen Sinnes würde, Lord Lindsay gegenüber an den Tisch.
„Das freut mich zu hören“, äußerte der Earl leicht belustigt und begann, sich schweigend dem einfachen Mahl zu widmen, das sie ihm vorgesetzt hatte. Blair Duncan
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