HISTORICAL Band 0264
beobachtete den Earl unter gesenkten Wimpern. Sein beherrschter Gesichtsausdruck verriet ihr mehr als viele Worte. Schließlich wurde ihr die Stille unerträglich, und sie bemerkte irritiert: „Ich habe Sie bewirtet, Lord Lindsay, aber Sie …“
„Vergessen Sie nicht, dass Sie mich früher Cameron zu nennen pflegten“, unterbrach er sie lächelnd.
„Sie haben mir immer noch nicht verraten, was Sie unangemeldet zu mir gebracht hat“, fuhr sie unfreundlich fort und legte die Hände um die Teekanne, um nicht zu zeigen, wie sehr sie zitterten.
„Nur der Wunsch, Ihnen zu sagen, dass es meiner Meinung nach für zwei alte Freunde endlich an der Zeit ist, sich gemütlich zu unterhalten. Es kann Ihnen nicht entgangen sein, dass ich erst jetzt Gelegenheit zu einem Gespräch mit Ihnen habe, seit ich nach Glenmuir gekommen bin.“ Gemächlich schob Lord Lindsay die Schüssel zur Seite. „Ich bin fest entschlossen, Sie von jetzt an öfter zu besuchen, und möchte Sie zu einem kleinen Empfang bitten, den ich bald geben werde. Da meine Einladungen in den vergangenen drei Jahren unbeantwortet geblieben sind, wollte ich diese persönlich überbringen.“
Blair errötete heftig, doch nicht aus Scham, weil sie seine Bemühungen, die Kinderfreundschaft zu erneuern, bisher missachtet hatte. Nein, sie war zornig, weil sie an die unbeantwortet gebliebenen, schwärmerischen Briefe dachte, die sie ihm nach der Abreise nach England geschrieben hatte. Doch das würde sie ihm niemals eingestehen. Er sollte nicht wissen, wie sehr sein zwölf Jahre währendes Schweigen sie verletzt hatte. Aber das war Vergangenheit. Wie alle, die in Glenmuir lebten, hatte Blair genug damit zu tun, sich um die Zukunft Sorgen zu machen, und in ihrem zukünftigen Leben gab es keinen Platz für den Earl of Lindsay. „Leider werde ich keine Zeit haben“, sagte sie endlich.
„Keine Zeit? Sie kennen nicht einmal das Datum!“, widersprach er.
„Richtig, aber vor den Festtagen finde ich für gesellschaftliche Anlässe wirklich keine Muße“, verteidigte sie sich und stand hastig auf, um den Tisch abzuräumen. Nun musste der ungebetene Besucher endlich begreifen, dass Gespräch und Frühstück beendet waren und er sich zu verabschieden hatte.
„Gewiss werden Sie am Heiligen Abend den Gottesdienst besuchen“, wandte Lord Lindsay beharrlich ein, während sie das Geschirr zum Spülstein trug. „Wenn eine Teilnahme an meiner kleinen Soirée nicht infrage kommt, gestatten Sie mir wenigstens, Sie zur Kirche zu begleiten. Danach könnten wir beide zwanglos in Lindsay Hall dinieren. Denn bis dahin, das müssen Sie zugeben, wird Ihre Arbeit im Dienste der Nächstenliebe getan sein. Wenn nicht, werde ich Ihnen gern dabei helfen.“
„Ich gebe überhaupt nichts zu“, sagte Miss Duncan und hob unwillkürlich die Stimme. Ihr Redlichkeitssinn geriet durch Lord Lindsays starke männliche Ausstrahlung ins Wanken, und das verstärkte ihre nervliche Spannung noch mehr.
„Blair, meine schöne Blair, haben Sie denn vergessen, dass wir einmal Freunde waren?“, fragte der Earl sanft, stand auf und stellte sich hinter sie.
Der warme Hauch seines Atems, der ihren Hals streifte, war mehr, als sie ertragen konnte. Lieber wollte sie der aufsteigenden Leidenschaft im Zorn Luft machen, statt ihr nachzugeben. „Wir sollten besser nicht von Freundschaft reden, Mylord“, entgegnete sie erregt und drehte sich um. „Ich hatte einst Freunde, die ich niemals wiedersehen werde. Freunde, die auszuwandern gezwungen waren, nur damit sie überleben konnten. Damals wurden große Teile des Connery-Besitzes verkauft, und es gab keinen Platz mehr für diese Menschen. Ich fände es nicht sehr anständig von mir, wollte ich den Mann zu meine Freunden zählen, der ihnen das angetan hat. Wie können Sie nach allem, was geschehen ist, noch das Wort Freundschaft in den Mund nehmen?“
„Miss Duncan, mit all diesen Ereignissen hatte ich nichts zu tun“, verteidigte Lord Lindsay sich heftig.
„Wollen Sie leugnen? Erst nach dem Tode Ihres Vaters, seit Sie Träger des Titels und Herr der Ländereien waren, wurden Grund und Boden aufgeteilt und viele Schotten vertrieben.“
„Aber ich hatte das nicht befohlen. Jahre zuvor hatten wir ausgedehnte Ländereien verloren, die von meinem Vater als Pfand für seine Spielschulden eingesetzt worden waren. Seine Freunde und Bekannten waren nur freundlich genug, ihn nicht bloßzustellen, und warteten, bis er gestorben war, ehe sie ihren Anteil
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