HISTORICAL Band 0272
worden. Er würde bei ihrer Ankunft in London sein, das wusste sie.
Draußen wurde es unruhig und laut, Türen schlugen auf und zu, der Wirt rief nach dem Stallburschen. Vermutlich ein Reisender, der vom Unwetter überrascht worden war. Eva legte das Buch beiseite, in dem sie keine Zeile gelesen hatte, trat ans Fenster und schob den Vorhang ein wenig beiseite. Im flackernden Schein der im Sturm schaukelnden Laternen entdeckte sie den Stallburschen, der mit hochgezogenen Schultern unter einem Jutesack, den er sich zum Schutz gegen den peitschenden Regen übergelegt hatte, ein großes Pferd in den Stall führte. Sein schwarzes Fell glänzte nass, der Sattel war bereits völlig durchnässt. Sie erhaschte gerade noch einen Blick auf den wallenden Mantel des Reiters, der eilig Zuflucht im Haus suchte.
Ein einzelner Reisender. Wenn der Gast sich nicht damit zufriedengab, in der Gaststube Platz zu nehmen, wäre es vorbei mit ihrer Privatsphäre. Eva störte sich nicht weiter daran, sie könnte ja auch einen Diener holen lassen, um nicht allein mit einem fremden Mann sein zu müssen.
„Welche Überraschung, Monsieur“, begrüßte der Gastwirt den Fremden leutselig. „Nur herein, Monsieur! Was für ein schreckliches Unwetter! Aber wenigstens können Sie sich eines herzlichen Empfangs erfreuen, und Ihr Zimmer ist bereit. Hier entlang, Monsieur.“
Offenbar ein regelmäßiger und gern gesehener Gast, der überaus freundlichen Begrüßung nach zu schließen. Dennoch war Eva brüskiert, dass der Wirt offenbar die Absicht hatte, ihn in dieses Nebenzimmer zu bitten, ohne ihr ein Wort davon zu sagen.
„Hier, bitte sehr, treten Sie ein.“ Die Tür schwang auf, die Zugluft brachte die Kerzen beinahe zum Erlöschen. Eine hochgewachsene Männergestalt in einem weiten Reisemantel füllte den Türrahmen. Zu seinen Füßen bildete sich eine Pfütze, es war Regenwasser, das von ihm tropfte. Der Mann hielt seinen Hut in den behandschuhten Händen, der ihm augenscheinlich nicht viel Schutz gegen den Regen geboten hatte, denn sein Haar hing ihm in nassen Strähnen in die Stirn.
Die Kerzenflammen richteten sich wieder auf, als er einen Schritt ins Zimmer machte. Er wirkte erschöpft, dieser Reisende, unter seinen grauen Augen lagen tiefe Schatten, und die Falten um seine Mundwinkel waren stark ausgeprägt . Als er sie sah, wurden seine Wangen unter den Bartstoppeln kreidebleich.
„Jack. Großer Gott, Jack.“ Im nächsten Moment flog sie an seine durchnässte Brust und schlang die Arme um seinen Hals. Und die Glut ihrer Liebe durchströmte sie, als er den Kopf neigte und seine eiskalten Lippen die ihren fanden.
23. KAPITEL
„Madame! Madame? Hören Sie, guter Mann, Sie können doch nicht einfach … Sir!“ Grimstone eilte polternd den Flur entlang, seine großen Hände zu Fäusten geballt, und dann kam er abrupt zum Stehen, mit einem Gesichtsausdruck, der seine völlige Verblüffung widerspiegelte.
„Danke, Grimstone. Madame ist bei mir gut aufgehoben.“
Der Leibwächter grinste jetzt breit und wollte sich augenblicklich zurückziehen. „Wir sind in der Schankstube, Sir, falls Sie etwas brauchen.“
„Das nenne ich göttliche Vorsehung“, glaubte Eva Jack murmeln zu hören. „Du kannst mir noch die Stiefel ausziehen, Grimstone“, fügte er deutlicher hinzu. Jack stand nun auf einem Bein, während der Leibwächter von hinten zog. Nach einiger Mühe kam der Stiefel mit einem Quietschen von seinem Fuß und bald darauf der zweite. Die Wasserpfütze war dadurch nur noch größer geworden.
„Herr Wirt! Ein heißes Bad, bitte so rasch wie möglich“, befahl Eva und machte sich daran, Jack den schweren und feuchten Mantel von den Schultern zu zerren. „Du bist bis auf die Haut durchnässt. Du holst dir noch den Tod in diesen Sachen, Jack.“
Er half ihr beim Abstreifen des Mantels, danach legte er den Reitrock ab und überließ das nasse Bündel Grimstones Armen. Schließlich wandte er sich ihr wieder zu. „Sei unbesorgt, Liebes, das bisschen Regen macht mir nichts aus.“
„Du siehst aus wie eine Ratte, die man gerade ersäufen wollte. Komm ans Feuer.“ Sie zog ihn am Arm, er aber blieb eigensinnig stehen. Doch dann hob er sie schwungvoll in die Arme und ging mit ihr durch den Schankraum zur Holzstiege, die zu den Zimmern führte. „Jack!“ Eva registrierte die gaffenden Gesichter der Gäste, auf denen sich bald ein verständnisvolles Grinsen ausbreitete. Sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter. „Jack“,
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