HISTORICAL Band 0272
hinuntergekippt hast …“
Nur mühsam gelang es Susanna, sich zu beherrschen. In eisigem Tonfall meinte sie: „Bitte geh zurück ins Bett. Ich komme nach, sobald ich mich angezogen habe.“
Garrow nickte, atmete hörbar ein und drehte sich auf dem gesunden Bein um.
Susanna sah, dass er beim Gehen Schmerzen hatte. Einige Zeit stand sie regungslos da und versuchte zu ergründen, warum der Schotte diesen schmerzhaften Gang auf sich genommen hatte. Dass er sie unbekleidet vorfinden würde, hatte er nicht wissen können. Hatte er sich wirklich Sorgen gemacht, nur weil sie ein paar Schluck Whisky getrunken hatte? Hatte er Angst, dass sie dem Trunk ergeben war?
Nachdenklich schlüpfte Susanna in ein frisches Abendkleid. Wieder einmal hatte sie darauf verzichtet, ihr Korsett eng zu schüren. Warum sollte sie sich damit quälen, wenn sie vermutlich nur seine Beinmuskeln kneten und massieren sollte? Nach dieser Überbeanspruchung des verwundeten Beins mussten die Muskeln ja verspannt sein. Hoffentlich war er nicht schon wieder ohnmächtig, hoffentlich platzten die Wundnähte nicht auf, ging es ihr plötzlich durch den Kopf. Mit hastigen, fast schon ungeschickten Bewegungen schloss sie die Knöpfe und warf ihre feuchten Locken zurück.
Bedenke, dass du deine Pflicht zu erfüllen hast. James ist dein Gatte, ermahnte sie sich. Sie war für sein Wohlergehen verantwortlich, und bis jetzt hatte sie gut für ihn gesorgt.
Der Schotte hatte nicht leiden müssen. Dafür hatte der Whisky gesorgt. Aber sie fürchtete, dass der Arzt recht gehabt hatte: Es war höchste Zeit gewesen, die Alkoholdosis zu senken. Susanna hatte es nur nicht ertragen können, ihn vor Schmerz stöhnen oder sich schlaflos im Bett herumwälzen zu hören. Seine Schmerzen hatten sie fast körperlich gequält.
Als sie James’ Schlafzimmer betrat, hielt sie auf der Türschwelle inne. Er war wieder im Bett, saß mit einem Stapel Kissen hinter sich da und wirkte keineswegs, als hätte ihm sein Ausflug in ihr Badezimmer geschadet, was sie erleichtert zur Kenntnis nahm.
Offensichtlich hatte ihm Snively geholfen, ein Nachthemd anzuziehen. Vorgestern hatte sie einige neue für ihn in Auftrag gegeben. Das Hemd, das er nun trug, war aus weichem Leinen.
Dass er sie freundlich anlächelte, irritierte sie. Sie hatte mit einem bösen Blick oder zumindest mit einer Leidensmiene gerechnet. Bevor sie ihm sagen konnte, wie sehr sie sich darüber freute, dass es ihm besser ging, klopfte es hinter ihr an der Tür.
„Das wird wohl Snively sein“, meinte sie, während sie öffnete. Snively kam mit einem großen Tablett herein, auf dem silberne Servierschalen standen. Verlockende Gerüche durchdrangen das Zimmer. „Bitte, bringen Sie das Abendessen doch herein“, bat Susanna. „Stellen Sie das Tablett auf dem Stuhl neben seinem Bett ab.“
„Soll ich Ihnen beim Essen behilflich sein, Mylord?“, fragte Snively, während er das Zimmer durchquerte.
„Nein, vielen Dank, Thomas. Kommen Sie doch in einer Stunde wieder“, bestimmte James.
„Mylord“, meinte Snively. „Ich habe nach Krücken geschickt. Sie werden bestimmt bald da sein.“
„Vielen Dank, Snively.“
Susanna war überrascht, dass James’ Stimme viel fester klang als beim Aufwachen, was keine Stunde zurücklag. Interessiert beobachtete sie außerdem, wie er mit dem Diener in einem akzentfreien Hochenglisch sprach, sich freundlich, aber autoritär gab. Wie mein Vater. Zum ersten Mal wurde Susanna bewusst, dass der Highlander trotz seiner schlechten Kleidung von Stand war. Er schien es gewohnt zu sein, Leuten Befehle zu erteilen.
Snively verneigte sich, nachdem er das Tablett abgestellt hatte, und ging hinaus. Sie waren allein.
Jetzt, wo James nicht mehr so krank war, kam es Susanna befremdlich vor, allein mit ihrem Mann zu sein. Er war ihr lieber gewesen, als er schwach gewesen war. Nun sah sie sich einem großen, einschüchternd muskulösen Mann gegenüber, von dem sie wenig wusste.
„Ich habe großen Hunger“, erklärte er, während er gierig auf das Tablett starrte. „Hast du schon gegessen?“
„Nein“, erwiderte Susanna, die in den vergangenen drei Tagen nur selten Hunger verspürt hatte. An diesem Abend aber hatte sie ein komplettes Menü für sich bestellt. Müde zog sie einen Sessel an den Stuhl heran, auf dem das Tablett stand. Als sie die gewölbten Silberdeckel von den Schüsseln hob, schnupperte James.
„Hmmm, Roastbeef. Und Zwiebeln, nehme ich an?“
„Für dich gibt es
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