HISTORICAL Band 0272
wird daheim ebenfalls erwartet.“
Snively nahm das Tablett. „Wie Sie wünschen, Mylord. Möchten Sie noch einen Schlummertrunk bestellen, Sir? Vielleicht ein Glas Whisky?“
James schüttelte den Kopf – vom Alkohol hatte er erst einmal genug.
Übermorgen würden sie abreisen, und damit basta.
Stattdessen blieben sie fünf weitere Tage, so lange, bis Susanna schließlich die Ausreden ausgingen, mit denen sie die Abreise weiter und weiter hinauszögert hatte.
Zuerst hieß es, die Kleider, die sie aus London mitgebracht habe, seien nicht warm genug für den Winter in den Highlands. Sie musste also neue bestellen, und die wurden von der Modistin erst am Nachmittag des folgenden Tages geliefert. Dann stellte es sich als schwierig heraus, ein passendes Reisegefährt zu finden. Auch dadurch gewann sie zwei Tage. Aber als sie dann andeutete, dass sie ein weibliches Übel befallen habe und damit rechnete, noch eine weitere Woche in Edinburgh bleiben zu können, hatte James sie längst durchschaut und einen weiteren Aufenthalt abgelehnt.
Susanna hoffte inständig, dass James wirklich so weit genesen war, dass ihm die Fahrt nicht gefährlich werden konnte. Er hatte die Krücken zur Seite gestellt – ihrer Ansicht nach viel zu früh – und bewegte sich nun an einem Spazierstock vorwärts, den sie ihm gekauft hatte.
Seit der Schießerei hatten sie beide den Wünschen des Earls gemäß das Hotel nicht mehr verlassen, nicht einmal ihre Zimmerflucht. Alles, was sie brauchten, war vom Personal geliefert worden, alles, was organisiert werden musste, von Snively arrangiert worden. Susanna war daher unendlich gelangweilt von dem Hotel und davon, mit dem Schotten in drei Zimmern eingesperrt zu sein. Stets musste sie vor ihm auf der Hut sein. Sie kam sich vor wie eine Tänzerin auf dem Drahtseil. Ein Absturz wurde immer wahrscheinlicher.
Sie musste allerdings zugeben, dass James zuweilen recht unterhaltsam sein konnte. Er weigerte sich jedoch hartnäckig, mit ihr Karten zu spielen, und sei es auch nur zum Zeitvertreib. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund schien er eine heftige Abneigung gegen Glücksspiele zu haben. Ab und an ließ er sich zu einer Partie Schach mit ihr herab. Susanna ließ ihn meist gewinnen, aber nur, weil es sie amüsierte, dass er sich nach jeder gewonnenen Partie benahm, als habe er eine Schlacht gewonnen. Ja, Susanna hätte James jederzeit schachmatt setzen können, wenn sie gewollt hätte. Aber sie wollte ihn nicht unnötig gegen sich aufbringen.
James. Es fiel Susanna schwer, an etwas anderes als ihn zu denken, denn er war so präsent. Wann immer sie ihr Schlafzimmer verließ, leistete er ihr Gesellschaft. Und es war ihr fast unmöglich gewesen, ihn zu ignorieren oder in seiner Gegenwart ein Buch zu lesen, denn er schien sie nicht aus den Augen zu lassen.
„Bist du endlich fertig?“, fragte er vergnügt, als er am frühen Morgen reisefertig aus seinem Schlafzimmer kam.
Ihr verschlug es den Atem. Bisher hatte sie ihn nur mit seinen verknitterten alten Kleidern gesehen, in Nachthemden und Morgenmänteln. Aber nun stand ein perfekter Gentleman vor ihr.
James’ tadellos steifer weißer Hemdkragen und sein dunkelgraues Halstuch betonten die Bräune seiner Haut. Der dunkelbraune Jackettanzug, den sie für ihn in Auftrag gegeben hatte, saß wie angegossen. Und selbst seine alten Schuhe wirkten adrett, denn sie waren auf Hochglanz poliert. Mit der einen Hand stützte er sich auf den Spazierstock, mit der anderen schlug er in einer ungeduldigen Bewegung die Handschuhe gegen sein gesundes Bein. Er musste diesen Ort genauso satt haben wie sie.
„Ein hübsches blaues Kleid“, meinte er und hob eine Augenbraue. „Neu?“
Susanna schüttelte den Kopf und wünschte nun, sie hätte am heutigen Tag bei der Auswahl der Garderobe mehr auf Eleganz geachtet als auf Reisetauglichkeit. Verlegen strich sie über die oberste Volantreihe ihrer glockenförmig rund fallenden Röcke. Der klein gemusterte, robuste Stoff ihres Reisekostüms war ihr beim Kauf pflegeleicht erschienen. So praktisch und zweckmäßig sie angezogen war – gegen James’ elegantes Erscheinungsbild wirkte sie in ihrem Tageskleid bieder und schlicht.
„Mein bestes Kleid werde ich bei der Ankunft tragen. Erste Eindrücke sind ja immer so wichtig“, meinte sie verunsichert, während sie ihren Kapotthut zurechtrückte und versuchte, die Taftbänder rechts an ihrem Kinn zu einer Schleife zu binden. Dass James sie dabei nicht aus den Augen
Weitere Kostenlose Bücher