HISTORICAL Band 0272
reagierte es auf Jacks sicheren Schenkeldruck, auf seine beruhigende Stimme und akzeptierte dessen Befehle. Vom Sattel aus hatte Jack einen besseren Überblick. Ihm wurde klar, dass er das gegenüberliegende Ufer erreichen musste. Er nahm die Zügel kurz und galoppierte los, um die letzte Brücke vor dem Zusammenfluss zu erreichen. Kostbare Zeit hatte er verloren, und der Abstand zu Eva vergrößerte sich zusehends. Bald konnte er ihren Kopf in den Wogen nicht mehr erkennen.
Jack wollte nicht daran denken, dass er sie verloren hatte – und bohrte dem Pferd die Absätze seiner Stiefel in die Flanken.
Ohne auf Hindernisse oder wüste Beschimpfungen der Spaziergänger zu achten, jagte er im gestreckten Galopp die Uferstraße entlang, um die Stelle zu erreichen, wo die wilden Strudel sich beruhigt hatten und aufgewühlter Schlamm und Sand kleine Inseln in der Flussmitte bildeten. Dies war eine Möglichkeit, Eva an Land zu ziehen – wenn sie es bis dahin schaffte, wenn er die Aufschüttungen vor ihr erreichte.
Das Pferd musste er fast gewaltsam zwingen, damit es den Weg durch das seichte Wasser zur ersten Sandbank einschlug. Dort warf er die Zügel über eine windschiefe Weide, riss sich die Stiefel von den Füßen, warf den Gehrock von sich und stürzte sich ins tiefe Wasser.
Auch hier war die Strömung noch sehr stark. Am westlichen Himmel zeigte sich noch ein schmaler Lichtstreifen, die Lichter von Booten und Laternen am Ufer spiegelten sich im Wasser.
Er musste nicht lange warten. Der Ast ragte aus dem Wasser, ein heller Stofffetzen hatte sich darin verfangen. Aber die Gestalt inmitten der Blätter bewegte sich nicht. Jack schwamm mit kraftvollen Stößen, um zum Ast zu gelangen. Er spürte nicht das eiskalte Wasser, bei dem sich seine Muskeln verkrampften, spürte nicht die tödliche Kraft der Strömung, verdrängte die Angst, die ihm das Herz zuschnürte.
Der Fluss hatte eine unglaubliche Kraft. Fast glaubte sie, das Wasser würde mit tausend Händen an ihr zerren, ihr den Ast entreißen wollen. Eva klammerte sich mit tauben Fingern an ihm fest. Sie sollte sterben, dieser Kampf war aussichtslos. Dennoch konnte und wollte sie nicht aufgeben.
„Eva.“ Es war ihr, als würde ihr der Fluss etwas ins Ohr raunen. „Eva, lass los!“
„Nein!“
„Doch! Schau mich an!“
Die Stimme von Jack? War das Jack? Mit letzter Anstrengung konnte sie das Gesicht von der rauen Rinde des Astes abwenden und ihn erkennen.
„Du kommst, um mich zu retten?“
„Ja, immer.“ Es klang wie ein Schwur. „Immer.“ Und dann versank die Welt in Dunkelheit.
„Eva!“ Jemand schrie sie an, schlug ihr ins Gesicht und auf die Hände.
„Aufhören!“, protestierte sie schwach, drehte sich zur Seite, würgte und spuckte Wasser, immer und immer wieder, als hätte sie den halben Fluss geschluckt.
„Braves Mädchen, gut so.“ Jemand lobte sie dafür, dass sie sich übergeben musste? Eva spürte, wie sie aufgerichtet und in ein unförmiges Kleidungsstück gehüllt wurde. „Nun komm! Hoch mit dir!“ Jack. Jack hob sie auf seine Schultern. Sie zwang sich, zu Bewusstsein zu kommen, fühlte sich wie gelähmt, war nicht einmal fähig, die Hand zu heben. Nur ihr Wille schrie ihr zu, sie dürfe ihm nicht alles alleine überlassen, denn auch er war erschöpft und durchnässt, vielleicht sogar verwundet.
Nur einen Moment wollte sie sich noch ihrer Schwäche überlassen und schmiegte sich an seine Brust. Kalte, nasse Kleider klebten an ihm. Er stapfte über Kies, durch Gestrüpp, das konnte sie hören. Er kämpfte sich mit schleppenden Schritten vorwärts, wobei er sie weiter festhielt.
„Lassen Sie mich runter.“ Sie wiederholte ihre Bitte, sie wollte ihm nicht zur Last fallen, wollte sich nicht von ihm tragen lassen, als wäre sie ein Sack.
„Wenn wir beim Pferd angelangt sind.“ Das Gesicht an seiner Brust geborgen, hörte sie seine keuchenden Atemzüge, spürte die Mühe, die es ihn kostete, klar zu sprechen.
„Nein. Jetzt.“ Sie bemühte sich, einen herrischen Ton anzuschlagen.
Zu ihrer Verblüffung rang er sich nur ein trockenes Lachen ab und ging unbeirrt weiter. „Erinnern Sie sich, was ich Ihnen einmal sagte?“, fragte er. „Sie tun, was ich Ihnen sage, immer, augenblicklich und ohne zu fragen.“
„Das zählt jetzt nicht.“
„Warum nicht?“ Jack blieb stehen, sammelte Kraft, danach kämpfte er sich die steile Uferböschung hinauf.
„Weil Sie ein eigensinniger Narr sind! Lassen Sie mich sofort runter,
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