HISTORICAL Band 0272
unverschämte Kerl. Er behauptete, ich sehe glücklich aus, und bei dir meinte er, du strahlst vor Glück.“
„Oh.“ Eva war so verdutzt über Henrys unerwartete romantische Ader, dass sie zunächst ihr Pferd anhielt, es kurz darauf zum Trab anspornte und Jack einholte. „Das finde ich reizend von ihm. Du hast ihm hoffentlich ordentlich die Leviten gelesen.“
„Ja, das habe ich. Aber sei unbesorgt, Henry wird Schweigen bewahren, er ist alles andere als ein Klatschweib.“ Eva schüttelte den Kopf. Sie vermochte sich auch nicht vorzustellen, dass Henry irgendetwas tat, was seinem Herrn schaden könnte. „Allerdings finde ich es bedenklich“, fuhr Jack fort, „dass ich so leicht zu durchschauen bin, selbst wenn es sich nur um Henry handelt.“
„Mir scheint, du kannst jederzeit die undurchdringliche Miene eines Berufspielers aufsetzen.“ Jeder Vorwand, ihn anzuschauen, war ihr willkommen, sie konnte einfach nicht genug von seinem Anblick haben.
„Das dachte ich auch. Zumindest habe ich bisher geglaubt, ich könne jeden hinters Licht führen. Offenbar habe ich mich geirrt. Du hast einen schlechten Einfluss auf mich, Eva.“
„Tatsächlich?“ In ihre Heiterkeit mischte sich ein Wermutstropfen. Jack verfügte über eine beneidenswerte Zielstrebigkeit und Konzentration. Lenkte sie ihn davon ab, untergrub sie seine Fähigkeiten? Schwächte sie ihn möglicherweise sogar? Machte Henry sich deshalb Sorgen? Sie hatte angenommen, seine Missbilligung beruhe auf moralischen Bedenken, aber nun zweifelte sie daran.
Schweigend, in besorgte Gedanken vertieft, ritt sie neben Jack her, beschleunigte das Tempo, wenn er schneller ritt, und unterzog sich einer Gewissensprüfung. Jack war ein erfahrener Geheimagent, sein Beruf war ihm Berufung. Er fühlte sich zwar zu ihr hingezogen, hatte sich aber stets im Griff. Sie war es, die losgestürmt war und seinen Panzer durchbrochen hatte.
Aber er hätte jederzeit Nein sagen können, verteidigte sie sich im Stillen. Vielleicht schadete sie ihm auch gar nicht, und sie reagierte nur überempfindlich. Nur weil ich mich in ihn verliebt habe, heißt das noch lange nicht …
Eva schluckte schwer. Nur weil ich mich in ihn verliebt habe. Oh mein Gott. Genau das ist geschehen. Sie hatte lediglich den Wunsch gehabt, ihr sinnliches Verlangen zu stillen, Trost in der Nähe eines Mannes zu suchen, der ihr Wohlwollen entgegenbrachte. Aber sie liebte ihn. Und das war verboten. Sie war eine Großherzogin und er bestenfalls ein Gesandter des Königs, schlimmstenfalls ein Abenteurer, auch wenn er der jüngste Sohn einer angesehenen Familie war, wie sie vermutete.
Das darf ich ihm niemals gestehen, sagte sie im Stillen, diese Liebe. Sie hielt den Blick auf Jacks breite Schultern gerichtet, wie er in lässiger Haltung im leichten Trab vor ihr ritt. Aber es war nicht allein seine männliche Schönheit, die diese Gefühle in ihr geweckt hatte, auch wenn er von Anfang an eine magnetische Anziehungskraft auf sie ausgeübt hatte. Sie liebte den Mann hinter der kühlen, disziplinierten Fassade. Diese Gefühle durfte sie ihm niemals zeigen.
Sie hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass diese Liaison nur so lange währen durfte, wie die Reise nach England dauerte, und er hatte ihr beigepflichtet. Nun aber wurde ihr klar, dass sie die Affäre weiterführen und auch ihn davon überzeugen wollte, ohne ihm ihre innersten Empfindungen preiszugeben. Sie wollte und konnte ihn nicht so schnell wieder verlieren, das wäre zu grausam.
„Eva?“ Er hielt an, wendete sein Pferd und kam zu ihr zurückgeritten. Erschrocken stellte sie fest, dass sie ihren Wallach schon vor einer Weile zum Stehen gebracht hatte und vor sich hin starrte. Unschlüssig und wunden Herzens. „Fühlst du dich nicht wohl?“
„Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Ich war nur in Gedanken versunken, dachte an England.“
Jack beugte sich seitlich aus dem Sattel und strich ihr flüchtig über die Wange. „Du machst dir Sorgen um Freddie, ich weiß. Ich versuche mein Bestes, um dich so schnell wie möglich zu ihm zu bringen. Komm, lass uns weiterreiten, damit wir Beaune hinter uns lassen und wir wieder eine Rast einlegen.“
Schuldgefühle nagten an ihr, als sie dem schwarzen Hengst einen schmalen Pfad durch die Weinberge folgte. Freddie. Sie hatte noch nicht daran gedacht, wie er reagieren würde. Er durfte nie erfahren, dass seine Mutter sich einen Liebhaber genommen hatte. Dabei bestand keine Hoffnung, die Liebesaffäre unter
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