HISTORICAL Band 0272
Probleme?“
„Ich denke, ich bin dem Schwager von Madame begegnet.“
„Antoine?“ Eva erbleichte, und Jack legte seine Hand auf die ihre. Sie schenkte ihm ein scheues Lächeln und entzog ihm ihre Hand, vermutlich brachte sie das Zeichen seiner Zuneigung in Gegenwart seines Dieners in Verlegenheit.
„Hat er eine lange Nase und ein hageres Gesicht?“, fragte Henry, „brünettes Haar und trägt eine Maubourg-Uniform mit Silberstreifen wie ein General?“
„Das ist Antoine“, bestätigte Eva. „Aber in Uniform?“
„Hinter seiner Kutsche war eine Abordnung berittener Soldaten, alle in dieser hellblauen Uniform mit den silbernen Tressen.“
„Ja, das ist unsere Uniform, aber wir befinden uns in Frankreich. Wir sind ein neutrales Land. Er darf keine bewaffneten Truppen über die Grenze bringen, um Himmels willen!“
„Nun, das darf er sehr wohl, wenn Maubourg sich mit dem Kaiser verbündet hat“, erklärte Jack und nahm blitzschnell die Hand vom Tisch, als Eva die Spitze ihres Messers in die Holzplatte rammte. Henry fuhr erschrocken zusammen. Die beiden Männer betrachteten die wütende Frau mit argwöhnischem Interesse. Seit seinem ersten Blick durch das Fenster der Burg hatte Jack noch nie gesehen, dass sie die Fassung verlor.
„Dieser Verräter!“,zischte sie, und Jack versuchte, sie zu beruhigen. „Oh ja, ich weiß, dass es sinnlos ist, in Rage zu geraten. Aber er hat kein Recht, das Herzogtum in einen Krieg mit halb Europa zu zwingen, dieser Wahnsinnige – dazu wäre nur Philippe berechtigt. Wie viele Soldaten hatte er bei sich?“
„Fünfzig vielleicht“, schätzte Henry. „Schwer zu sagen, da sie ziemlich viel Staub aufwirbelten.“
„Entschuldigen Sie mich einen Moment.“ Eva rutschte seitlich aus der Bank. „Ich bringe keinen Bissen hinunter, wenn ich so wütend bin. Ich bin gleich wieder da.“
Die Männer blickten ihr nach, als sie mit energischen Schritten zum Bach eilte, der fast unter einem riesigen Mühlenrad verschwand.
„Es gab eine berittene Vorhut, die jedes Gefährt nach Norden überprüfte“, berichtete Henry. Dabei brach er ein Stück von dem langen Weißbrot ab und bestrich es dick mit Leberpastete. „Sie ritten eine Weile neben meiner Kutsche her, spähten ins Wageninnere und galoppierten schließlich weiter. Hier, Meister, davon müssen Sie probieren.“ Er schob Jack die Pastete hin, der sich gleichfalls ein Stück Brot damit bestrich. Doch immer wieder sah er zu Eva hinüber, die mit den Händen in den Hosentaschen am Flussufer stand und ins Wasser starrte.
„Sie haben sich nicht an das gehalten, was ich Ihnen vor ein paar Tagen in Lyon gesagt habe. Das hätte ich mir denken können“, sagte Henry düster. „Aber Sie hätten es nicht tun dürfen, M’lord, denn sie ist eine reizende Frau und noch dazu sehr einsam.“ Er achtete nicht auf Jacks bohrenden Blick. „Schauen Sie doch, sie glüht förmlich. Das ist zwar ein hübscher Anblick, aber was geschieht, wenn wir England erreichen?“
„Zum Teufel mit deiner Unverschämtheit.“ Jack griff nach dem Becher und leerte ihn zur Hälfte. „Kein Wunder, dass sie glüht – sie ist wütend.“
„Nein, dieses Leuchten umgab sie vorhin schon. Das habe ich gleich bei eurer Ankunft gesehen. Sie wirkte weich und strahlend. Und, wenn ich mir die Frage erlauben darf, haben Sie eigentlich in letzter Zeit einen Blick in den Spiegel geworfen?“
„Wenn du mir jetzt sagst, dass ich auch weich und strahlend aussehe, lasse ich dich gleich die Sterne sehen“, warnte Jack unheilvoll.
„Jedenfalls sehen Sie glücklicher aus, als ich Sie je zuvor gesehen habe, und ich kenne Sie, seit Sie noch ein grüner Junge waren“, erklärte Henry ungerührt. „Ich hoffe nur, dass es so bleibt. Sie wollen doch nicht, dass die ganze Sache in einem Tränenmeer endet.“
„Verdammt noch mal, Mann, wir befinden uns auf einer heiklen Mission. Das ist wahrlich nicht der Zeitpunkt für deine romantischen Flausen.“
Allerdings verfehlten die ungebührlichen Worte des alten Haudegens nicht ihre Wirkung. Das war es also: Er war glücklich. Eine vergessen geglaubte Empfindung aus seiner frühen Jugend. Etwas anderes als Zufriedenheit, Wohlgefühl, Genuss, Entspannung. Etwas wesentlich Tieferes. Etwas, das ihn zu schwächen drohte. Verdammt, da saß er nun an einem strahlenden Frühsommertag, ließ sich die köstliche Leberpastete schmecken und hörte sich die Vorhaltungen seines Dieners an. Sosehr er ihm vertraute und seine
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