HISTORICAL Band 0272
mich dann abtrocknen und mich zu Bett begeben. Und dann – würde ich mich umdrehen und sofort einschlafen.“
Lachend über seine verdutzte Miene drückte sie ihrem Pferd die Absätze in die Flanken und ritt im schnellen Trab um eine Wegbiegung. Einer Eingebung folgend lenkte sie den Blick nach links. Unter ihr am Fuß des Abhangs verlief die Landstraße. Über dem Gestrüpp, das die Straße säumte, hing eine dichte Staubwolke. Eva fasste die Zügel kurz und hob den Arm, um Jack zu warnen, der hinter ihr ritt. Gemeinsam suchten sie Schutz hinter einem Dickicht und warteten ab.
„Soldaten“, raunte Jack, als das Geräusch schwerer Stiefel im Gleichschritt zu ihnen heraufdrang und das Zwitschern der Lerchen über einem Weizenfeld übertönte. „Französische Truppen auf dem Vormarsch nach Charleroi. Ein großer Verband, wie er uns noch nie begegnet ist. Es musste ja so kommen, unser Glück konnte nicht ewig dauern.“
„Droht uns Gefahr von den Franzosen?“ Eva legte die Hand über die Augen und versuchte an den Uniformen das Regiment zu erkennen, aber ihr Wissen reichte nicht aus.
„Vermutlich nicht. Zwei offensichtlich unbewaffnete Reiter erwecken keinen Verdacht, solange wir nur ihren Weg kreuzen und nicht den Eindruck machen, sie zu observieren.“
Er beobachtete aus halb zusammengekniffenen Augen, wie das Infanterieregiment unter ihnen vorbeizog. „Wellington will eine Armee aus englischen und deutschen Truppenverbänden in der Gegend um Brüssel versammeln. Aber unsere Kundschafter konnten bislang keine Angaben über die Truppenstärken auf beiden Seiten machen und auch keine genauen Angaben darüber, wohin Bonaparte seine Truppen beordert. Vor uns liegt das Dorf Fontaine-l’Évêque. Morgen schlagen wir eine nordöstliche Richtung ein, um Nivelles zu erreichen.“
„Darüber hast du nie mit mir gesprochen“, sagte Eva mit leisem Vorwurf. „Allerdings hätte ich mir das auch denken können – mein Hirn scheint eingerostet zu sein. Ich fürchte, ich war so sehr auf unser eigenes Abenteuer fixiert, dass ich die Geschehnisse der Welt um uns herum völlig vergessen habe. Natürlich wird Bonaparte nicht in Paris bleiben und nur ein paar Kundschafter ausschicken, das würden die Koalitionspartner gewiss zu verhindern wissen.“
„Genau.“ Jack ließ seinen Späherblick über die weite Ebene schweifen. „Das Geschützfeuer ist noch ziemlich weit entfernt im Nordosten, allerdings ist es beständiger geworden. Ich glaube, dort findet eine größere Schlacht statt.“
„Und wenn wir direkt auf Brüssel zuhalten, reiten wir direkt ins Kampfgeschehen hinein?“
„Möglicherweise. Wenn wir nicht aufpassen.“
„Jack?“ Eva zwang sich, Ruhe zu bewahren. „Hast du mir das vorenthalten, um mich nicht zu beunruhigen?“
„Ja“, gestand er und erstaunte sie mit seiner Offenheit. „Meine Order lautet, dich nach England zu bringen, besser gesagt, erst nach Brüssel, denn dort wirst du von einem unserer Leute erwartet: Die Route, die wir bislang genommen haben, erschien, wie gesagt, schneller und weniger gefährlich zu sein als der Seeweg. Vermutlich ist das nach wie vor zutreffend. Wir müssen uns nur davor hüten, direkt in Napoleons Hauptquartier zu stolpern oder versehentlich ins Niemandsland zwischen den beiden Frontlinien zu geraten.“
Mit sanftem Schenkeldruck versetzte er den Rappen in einen leichten Trab, das Packpferd folgte ihm gehorsam den Abhang hinunter zur Hauptstraße. „Ab morgen versuchen wir weitläufig etwaige Hindernisse zu umgehen. Unser Gepäck werfe ich irgendwo in den Wald, dann stehen uns drei Pferde zur Verfügung, die wir abwechselnd reiten können. Auf diese Weise schaffen wir die letzte Strecke in einem Tag.“
„Sind wir bisher zu langsam gewesen?“, fragte Eva schuldbewusst. „Habe ich dich aufgehalten?“
„Nein, wir waren nicht zu langsam, und du hast mich auch nicht aufgehalten.“ Jack ließ seinen Hengst im Schritt gehen. „Es war richtig, die Pferde zu nehmen – Henrys Begegnung mit Antoine war der Beweis dafür. Und ich sah keinen Grund, die Tiere bis zur völligen Entkräftung anzutreiben, dadurch wären wir nur gezwungen gewesen, sie unterwegs auszuwechseln. Das hätte unnötige Aufmerksamkeit auf uns gelenkt. Im Übrigen wollte ich dich nicht völlig erschlagen und erschöpft abliefern. Morgen schaffen wir es bis Brüssel, möglicherweise aber erst nach Einbruch der Dunkelheit.“
„Dann ist das unsere letzte Nacht unterwegs.“ Die letzte
Weitere Kostenlose Bücher