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HISTORICAL BAND 295

HISTORICAL BAND 295

Titel: HISTORICAL BAND 295 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Rock Joanna Fulford
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Menschen, besaß sie doch die Gabe des zweiten Gesichts. Kommende Ereignisse vermochte sie mit solcher Genauigkeit zu beschreiben, dass die Menschen ihr mit Ehrfurcht, manche sogar mit Angst begegneten. Elgiva hingegen empfand keine Angst, nur Neugier. Osgifus Mutter war Dänin gewesen, die Tochter eines Händlers, die einen Angelsachsen geheiratet hatte. Von ihr hatte sie die Gabe geerbt, und dazu eine unerschöpfliche Fülle an Geschichten.
    Als Elgiva noch ein Kind gewesen war, hatte Osgifu sie mit Erzählungen über die nordischen Gottheiten unterhalten – über Thor, der Blitze schleuderte, über Loki den Listenreichen, über Fenrir den Wolf. Stets hatte Elgiva gebannt zugehört, ganz gleich ob sie von Jotenheim erzählte, dem Reich der Eisriesen, oder vom Drachen Nidhöggr, der unentwegt an den Wurzeln der gewaltigen Esche Yggdrasil fraß, die die Erde mit dem Himmel verband. Von Osgifu hatte sie auch die dänische Sprache gelernt, wenngleich auch nur im Geheimen, da Lord Egbert es nicht erlaubt hätte. Wenn sie beide allein waren, unterhielten sie sich meistens in ihrer „Geheimsprache“, da sie wussten, dass kein heimlicher Lauscher damit etwas anfangen konnte. So kannte nur Osgifu ihre persönlichsten Geheimnisse, und an sie konnte sie sich stets mit ihren Problemen wenden.
    Elgiva seufzte, wandte den Blick von den Flammen ab und sah Osgifu nun richtig an. „Ich weiß nicht, was ich tun soll, Gifu. Seit Vaters Tod gleitet Ravenswood immer weiter ins Chaos ab. Mein Bruder hat nichts dagegen unternommen.“ Sie hielt einen Moment lang inne. „Und nun ist er auch tot, und seine Söhne sind noch kleine Kinder. Ravenswood braucht eine starke Hand, um gut geführt zu werden.“
    Sie sprach nicht ausdrücklich von der starken Hand eines Mannes , aber Osgifu wusste, dass sie das gemeint hatte. Esgivas Bruder Osric hatte seine Zeit lieber mit der Jagd verbracht, statt sich um das Anwesen seines verstorbenen Vaters zu kümmern. Diese Aufgabe hatte er seinem Verwalter Wilfred übertragen, einem herzensguten Mann, der unter Lord Egberts Aufsicht seiner Arbeit stets ordentlich nachgekommen war. Als er aber keinen wachsamen Dienstherrn mehr zu fürchten hatte, wurde er allmählich nachlässiger und schob vieles immer weiter vor sich her, was er früher sofort erledigt hatte. Sein Verhalten färbte auf die ihm unterstellten Bauern ab, wie Elgiva bei ihren täglichen Ausritten bemerkt hatte. Früher einmal hatte sich Ravenswood als eindrucksvolles Anwesen präsentiert, doch längst war es von einer Aura der Vernachlässigung umgeben. Lücken in den Zäunen wurden nicht mehr repariert, inmitten des Getreides schoss Unkraut in die Höhe, niemand kümmerte sich richtig um das Vieh. In den Dächern der Scheunen und Lagerhäuser klafften Löcher, durch die der Regen ins Innere gelangte. Als sie Osric auf diese Dinge angesprochen hatte, war sie von ihm zurechtgewiesen worden.
    „Eine Frau kümmert sich um den Haushalt, sie mischt sich nicht in Angelegenheiten ein, die sie nichts angehen“, hatte er ihr an den Kopf geworfen.
    „Ravenswood geht mich sehr wohl etwas an“, hatte sie gekontert. „Und dich sollte es auch angehen!“
    „Du hast zu viel Zeit, um über solche Sachen nachzudenken, Elgiva.“ Abweisend hatte er sie angesehen. „Wenn du einen Ehemann und Kinder hättest, würde dir gar keine Zeit bleiben, dich um diese Dinge zu kümmern. Du solltest schon längst verheiratet sein.“
    In diesem Punkt hatte ihr Bruder recht gehabt, und das wusste Elgiva auch. Wäre ihr Vater nicht verstorben, hätte er für sie einen Bräutigam ausgesucht, immerhin hatte sie sich über einen Mangel an Verehrern nicht beklagen können. Sie hatte ihren Vater sehr geliebt, und sie wusste, sie war sein liebstes Kind gewesen. Ihre Gesellschaft hatte ihm gutgetan, da sie stets gewusst hatte, wie sie ihn zum Lachen bringen konnte. Als Reiterin, die keine Angst kannte, hatte sie ihn oft auf die Jagd begleitet. Als er dann vor drei Jahren starb, wandte sich alles zum Schlechten. Ein unbekümmerter, nichtsnutziger Osric war zum Herrn von Ravenswood geworden, während sich Elgiva darum kümmerte, dass im Haushalt alles glattlief. Leider hatte ihre Unterhaltung mit Osric nichts an dem grundlegenden Problem geändert. Sie hatte lediglich bewirkt, dass er an eine seiner Verantwortlichkeiten gegenüber seiner Schwester erinnert worden war.
    „Ich werde dir einen Ehemann suchen. Wir leben in unsicheren Zeiten, und eine Frau sollte einen

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