Historical Band 298
seine Gefühle ausdrückte. Sie flossen durch seine Finger, strömten über seine Lippen und verwandelten sich in Musik und Worte.
Schon als sie die Melodie zum allerersten Mal hörte, hatte sie die Wahrheit erkannt. Jetzt war sie erfüllt von jedem Wort, jeder Note, so wie sie erfüllt gewesen war von ihm, bis ihr Herzschlag dem Beben der Saiten glich.
Das Lied war zu Ende. Der letzte Ton hing noch etwas in der Luft, bis er verklungen war. Was blieb, war eine zitternde Hoffnung, die Jane atemlos darauf warten ließ, was als Nächstes kommen würde.
Sie hob den Blick und sah ihm in die liebevollen grauen Augen.
Er legte die Laute beiseite, und sie umarmten einander. Zärtlich strich er ihr übers Haar, während sie sich so eng an ihn schmiegte, dass sie seinen Herzschlag hören konnte. Endlich erlaubte sie sich, sie selbst zu sein und in seinen Armen zu ruhen.
„Ja“, beantwortete sie flüsternd die Frage des Lieds. „Für immer ja.“
Aber zwischen jetzt und immer standen Geheimnisse. Und Entscheidungen. Welches Leben bedeutete für immer ?
Die Frage verfolgte sie noch, als sie nachts wieder in seinen Armen lag. Ihr ganzes Leben lang hatte sie erlebt, wie Männer Frauen unterdrückten. Und hatte sich geschworen, sich nie von der Gunst eines Mannes abhängig zu machen.
Als sie noch als Tochter des Königs in Windsor Castle herumspaziert war, waren Essen, Kleider und Schutz selbstverständlich gewesen. Unzählige Diener hatten sich um das Feuer im Kamin gekümmert und darum, dass es genug Decken gab.
Dann war mit einem Mal alles vorbei gewesen. Zweimal wurden sie bestohlen; einmal vom Parlament und einmal vom Ehemann ihrer Mutter.
Deshalb hatte sie die nächsten zehn Jahre mit ihrer Mutter und Solay in einem kleinen Landhaus gelebt. Jedes Stück Feuerholz war abgezählt gewesen, jede Scheibe Brot bemessen.
Erst seit ihre Schwester geheiratet hatte, gab es wieder Essen, Kleidung und Schutz. Nicht so verschwenderisch wie bei Hofe, aber ausreichend für ihre Bedürfnisse.
Natürlich sorgten Männer für den Lebensunterhalt. Aber da sie jahrelang ohne einen Mann im Haus gelebt hatten, hatte Jane nur eine vage Vorstellung davon gehabt, wie sie das wohl machten. Es schien alles nur vom Zufall der Geburt abzuhängen, vom eigenen Auftreten. Sie schienen nur durchs Leben zu gehen und einfach zu fordern, was ihnen zustand.
Jetzt, da sie selbst unter Männern lebte, sah sie, dass ein Männerleben nicht so einfach war, wie sie es sich vorgestellt hatte. Essen und Trinken fielen nicht vom Himmel. Man musste sie einer erbarmungslosen Erde abringen. Alles, was ein Mann sein Eigen nannte, war von seinen Händen, seinem Willen und seinem Verstand mit viel Schweiß gestaltet, geformt oder geschaffen worden.
Es stimmte, sie wusste nichts über die Männer. Ein Mann zu sein öffnete einem vielleicht einige Türen. Danach musste man sich durch Arbeit und Verstand beweisen.
Aber wenn Jane auch herzlich wenig über Männer wusste, so wusste sie doch eine Menge über Frauen. Die Türen, die sich einem Mann öffneten, blieben den Frauen von vornherein verschlossen.
Nichts von dem, was sie gelernt hatte, änderte etwas daran. Doch es hatte alles andere verändert.
Niemals wäre ihr den Sinn gekommen, dass der Wahnsinn sie ergreifen könnte. Niemals hätte sie sich vorstellen können, einen Mann so zu begehren, wie sie Duncan begehrte. Dass sie die Freuden der Vereinigung so genießen würde, den Unterschied zwischen seinem Körper und dem ihren, die beide dann so vollkommen zu einem wurden. Das wollte sie.
Für immer.
Aber wenn sie für immer zu Jane statt zu John würde, wäre es vorbei mit Latein. Kein Schlendern durch die Straßen in Männerkleidung. Kein gemeinsames Studieren mehr mit den anderen Scholaren oder Singen in Bierschänken. Keine Reisen nach Paris oder Rom.
Und keine Möglichkeit, sich selbst zu schützen, falls Duncan etwas zustieß.
Ja, sie wollte Duncan, aber nicht, wenn Gefangenschaft und Hilflosigkeit der Preis dafür waren.
Duncan liebte sie. Er würde es verstehen.
17. KAPITEL
E rzähl mir von deiner Familie.“ Jane hatte inzwischen bemerkt, dass Duncan noch weniger über seine Familie sprach als sie. Also fragte sie ihn jetzt danach, als sie nackt beieinanderlagen, ihr Kopf auf seiner Brust ruhte und sein Atem ruhiger ging. „Du sagtest, du hast noch einen älteren Bruder, Michael. Gibst es nur euch zwei?“
Sein Arm, der um ihre Schulter lag, versteifte sich etwas. „Inzwischen.“
Nur
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