Historical Collection 04
erreichte. Unwillkürlich ahnte Laurel, was er tun würde. Er würde um sie bieten.
Patrick Jago war erschüttert. Laurel Vernon? Ausgerechnet an einem Ort wie diesem? Ich habe sie doch in Martinsdene zurückgelassen? Es muss ein Trugbild sein.
Aber er irrte sich. Diese eindringlichen veilchenblauen Augen, aus denen sie ihn voller Intelligenz angesehen hatte, als er ihr erklärt hatte, was er in dem entlegenen Dorf in Suffolk zu suchen hatte, würde er überall wiedererkennen. Im Moment waren sie weit aufgerissen und dunkel vor Angst.
Er ballte die Hände zu Fäusten, als könnte er sich so fassen. Unmöglich konnte er sich einen Weg durch die johlende Menge bahnen und Laurels Freilassung verlangen. Man würde ihn einfach bewusstlos schlagen und sie trotzdem verkaufen.
Laurel. Tagelang hatte er die starke Anziehungskraft zu ignorieren versucht, die sie auf ihn ausgeübt hatte, ebenso wie die Vermutung, sie könnte dasselbe Verlangen empfinden wie er, während sie gemeinsam nach Spuren der verschwundenen jungen Damen suchten, derentwegen er nach Suffolk gereist war. Ich wäre zu dir zurückgekommen, dachte er. Allerdings war es dafür zu spät. Zu spät auch, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie hierhergekommen war – in eins der verrufensten Londoner Bordelle.
Sie hat mich gesehen. Er bemerkte den Abscheu in ihren Augen. Sie konnte doch nicht glauben, dass er … Und doch tat sie es offensichtlich. Laurel nahm an, er wäre wie die anderen Männer, die in diesem Moment schwitzend und keuchend vor Begierde vorwärtsdrängten.
Unwillkürlich schüttelte er abwehrend den Kopf. Dass sie das glauben konnte, verletzte ihn zutiefst, doch das war jetzt nicht wichtig. Laurel konnte nicht wissen, dass er nur eine Spur verfolgte, die ihn zu Celina Shelley führen könnte. Ein Straßenkind, das sich an sie zu erinnern glaubte, hatte behauptet, die Kutsche erkannt zu haben, in die sie gestiegen war.
Jetzt zählte nur, Laurel zu befreien. Patricks erster Impuls drängte ihn dazu, einen Zwischenfall zu verursachen, Chaos zu schaffen, um sie hier herauszubekommen. Er sah sich um und schätzte das Risiko ab. Zu seiner Enttäuschung war es zu groß. Vor allem Laurel würde zu Schaden kommen, sollte er versagen. Stattdessen würde er zu einer List greifen müssen. In einer seiner Westentaschen befanden sich die zweihundert Pfund, mit denen er reiste, um für jede Eventualität gewappnet zu sein. Allerdings war diese Situation übler, als er es sich selbst in seinen wildesten Träumen hätte ausmalen können. Dennoch würde das Geld reichen müssen.
Ein Mann betrat die Bühne. Die Menge beruhigte sich allmählich, die Blicke gingen zwischen dem weiß gekleideten Opfer und dem Versteigerer hin und her.
„Mylords, Gentlemen. Heute Abend bietet Ihnen der Venustempel diese keusche Unschuld an, diese sittsame Jungfrau von großer Vornehmheit. Sie wissen, wir sind seit jeher bekannt für unsere hohe Qualität – das hier ist keine Fälschung, nur garantiert unberührte Reinheit! Wer will also mit fünfzig Guineen beginnen?“
Patrick sah Laurel nicht an, als die Gebote herabzuregnen begannen, aber er spürte ihren Blick auf sich. Die Gebote stiegen immer weiter, doch er hob nicht die Hand, um den Eifer der Bietenden nicht noch anzufeuern. Allmählich mussten viele von ihnen aufgeben, bis nur noch zwei übrig blieben.
„Zweihundert!“
„Zweihundertzehn.“ Einer der beiden zuckte in einer Geste der Niederlage die Schultern, der andere, ein dünner, düster dreinblickender Mann, betrachtete offenbar reumütig die Summe, die er gerade geboten hatte.
„Zweihundertzehn und diesen Siegelring.“ Patrick zog seinen Ring vom Finger und hielt ihn hoch.
Es folgte Stille. Der Versteigerer wandte sich an den dünnen Mann. „Sir?“
Der zögerte, schüttelte aber dann abrupt den Kopf und wandte sich ab.
Sofort bahnte Patrick sich einen Weg nach vorn und überreichte das Geld und den Ring seines Urgroßvaters. Vor seinem inneren Auge erschien das Porträt Joshua Jagos, das in seinem Haus in der Halle hing. Ein alter Gauner, hatte Patricks Vater einmal behauptet. Aber dennoch ein Mann von Ehre.
Für die Ehre einer Dame, Joshua, dachte er und sah zu, wie das Erbstück in der Tasche des Versteigerers verschwand.
„Worauf warten wir?“, sagte er rau und drehte sich zur Bühne um. Er konnte es nicht ertragen, Laurel so an den Säulen hängen zu sehen. Ihre Ohnmacht war nicht gespielt. Am Ende erwies die Belastung sich
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