Historical Collection 04
ihrem hölzernen Sitz hin und her, während sie vor Begeisterung in die Hände klatschte.
Plötzlich legte ihr jemand eine Hand in einem hellgrauen Handschuh aus feinem Leder auf den Arm. Edwards Aufmerksamkeit richtete sich sofort auf ihre Begleiterin. Neben Jane saß eine Frau, die älter war als sie, aber noch immer jung. Sie trug ein einfaches, aber sehr vorteilhaft geschnittenes Mieder mit einem Rock aus grauem Samt, der mit goldenen Bändern umsäumt war. Ihr glänzendes rotbraunes Haar wurde von einem goldenen Netz zusammengehalten, auf dem ein hoher grauer Hut thronte. Ihr ovales Gesicht war blass mit hohen Wangenknochen, die von hellen Sommersprossen überzogen waren. Ihren braunen Augen schien nichts zu entgehen. Sie flüsterte Jane etwas ins Ohr, woraufhin diese sofort wieder still auf ihrem Platz saß.
„Teufel auch“, wiederholte Edward leise Robs Fluchen. Lady Elisabeth Gilbert – und sie schien die Anstandsdame des Mädchens zu sein! Wie sollte er bloß an ihr vorbeikommen?
Er war Lady Elisabeth einige Male bei Hofe begegnet. Sie war die Tochter eines Earls, die Witwe eines reichen Lords, und sie diente der Königin als Hofdame. Sie war zweifellos schön, viele Edelmänner hatten ihr Glück bei ihr versucht, hatten gehofft, das Bett mir ihr teilen zu dürfen. Was sie stattdessen bekommen hatten, waren Ohrfeigen oder ein Tritt in die Leiste gewesen.
Lady Elisabeth war eine uneinnehmbare Festung der Tugend. Trotz ihres wunderschönen Haares und ihres wohlgeformten Busens hatte Edward der Versuchung nie nachgegeben. Dazu war ihm seine eigene Gesundheit zu wertvoll.
Nun saß sie hier neben Jane Courtwright. Sie würde die Tugend ihres Schützlings gewiss ebenso streng hüten wie ihre eigene. Mit diesem Hindernis hatte er nicht gerechnet.
Gerade in diesem Augenblick ließ Lady Elisabeth den Blick durch das Theaterrund schweifen und sah ihn direkt an. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung, aber sie hielt seinem Blick stand. Für einen kurzen Moment war ihr kühler, distanzierter Ausdruck verschwunden. Sie schien überrascht und nervös, ihre Wangen röteten sich leicht. Sie öffnete ihre vollen sinnlichen Lippen, beinahe hätte man ihre sprichwörtlich gewordene Tugendhaftigkeit vergessen können.
Edward stellte sich fast widerwillig vor, wie es wäre, diese Lippen zu küssen. Er malte sich aus, wie er seinen Mund auf ihren drückte und sie sich weich an ihn schmiegen würde. Wie wohl ihre Lippen schmeckten, und wie sie sich wohl anfühlte? Hinter ihrem eiskalten Äußeren verbarg sich mit Sicherheit eine lange unterdrückte Leidenschaft, die nur darauf wartete, endlich entfesselt zu werden …
Genauso plötzlich, wie er verschwunden war, kehrte ihr strenger Gesichtsausdruck jedoch zurück, und sie sah wieder so abweisend aus wie immer. Seine Vision von Elisabeth Gilberts nackter Schönheit verblasste.
Sie nickte ihm kurz zu und wendete sich ab. Jane Courtwright versuchte zu erkennen, wen ihre Begleiterin auf der anderen Seite des Theaters angesehen hatte, und blickte Edward neugierig an. Er lächelte ihr vielsagend zu. Mit diesem Lächeln hatte er bei Hofe schon bei vielen Damen Erfolg gehabt. Jane kicherte und errötete heftig, doch Elisabeth nahm sie am Arm, sodass sie sich abwenden musste.
Der Anfang mit dem Mädchen war gemacht. Seltsam nur, dass es nicht Jane Courtwright war, die er gern erobert hätte.
2. KAPITEL
W er ist der Mann, Tante Bess?“
Lady Elisabeth Gilbert sah starr auf die Bühne hinunter und versuchte, den Mann zu ignorieren, der sie von der anderen Seite des Theaters her anstarrte. Sie war sich seiner Aufmerksamkeit durchaus bewusst; sie meinte, den Blick aus seinen grauen Augen auf ihrer Haut fühlen zu können, er prickelte und brannte wie Sonnenstrahlen im Sommer. Sie wollte von ihrem Sitz aufspringen und weglaufen, nur unter Aufbietung ihrer gesamten Willenskraft konnte sie ihre ruhige und gelassene Haltung bewahren.
Oder beobachtete er vielleicht eher Jane? Ihre hübsche und zierliche Nichte erregte überall Aufmerksamkeit, wohin sie auch ging, eine Aufmerksamkeit, die Jane selbst überhaupt nicht zu bemerken schien. Wahrscheinlich war sie der Grund dafür, dass Elisabeths Schwester und deren ungehobelter Ehemann das Mädchen zu Hause einsperrten. Elisabeth hatte ihre gesamte Überredungskunst aufbringen müssen, damit sie dem armen Ding diesen Theaterbesuch gestattet hatten. Jane war jetzt sechzehn; sie hatte es verdient, sich ein bisschen zu amüsieren,
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