Historical Collection 04
sie sich der Liebe mit Edward Hartley hingegeben. Oh, ja, an diesen Teil konnte sie sich besonders gut erinnern. An jeden wunderbaren Moment. Jeden Kuss und jede Berührung und jedes Stöhnen.
Elisabeth legte das erhitzte Gesicht in ihre Hände und sank zurück auf das zerwühlte Bett. Zum Glück war er jetzt verschwunden, die Tür der kleinen Kammer war geschlossen, und sie war mit dem Strudel ihrer Gefühle allein.
Sie war nicht sie selbst gewesen, sie war eine andere geworden: frei und offen und sinnlich. Sogar jetzt noch wartete diese Fremde, die einen Teil von ihr ausmachte, in ihrem Inneren und seufzte bei dem Gedanken an die erlebte Lust.
Und das alles nur wegen Edward Hartley und seinen gemeinen, geheimnisvollen Plänen. Er hatte sie entführt! Sie sollte nach einem Weg suchen, ihm zu entkommen, sie müsste ihn verabscheuen.
Doch genau das brachte sie nicht über sich.
Sie öffnete die Augen und starrte die Decke an, und vor ihrem inneren Auge sah sie sein Gesicht. Er hatte so schrecklich … traurig ausgesehen. Seine schönen grauen Augen waren erfüllt gewesen von Dunkelheit und überwältigenden Gefühlen, die er normalerweise hinter der Maske des Lebemanns, des fröhlich rücksichtslosen Höflings verbarg. Sie konnte sie nur sehen, weil sie selbst ebenfalls ein geheimes Doppelleben führte.
„Das kann nicht sein“, hatte er gesagt, als er sie aus der Kutsche gehoben und ihr Gesicht gesehen hatte. Was hatte das zu bedeuten? Hatte er eine andere Frau hierherbringen wollen?
Sie wusste, dass sie nicht von hier weggehen konnte, ehe sie eine Antwort auf diese Frage bekommen hatte. Nicht ehe sie herausgefunden hatte, ob sie ihm irgendwie dabei helfen konnte, diese tiefe Trauer für immer zu vertreiben.
Elisabeth schlug die Decken zurück und schlüpfte aus dem Bett. Im Zwielicht fand sie eine Bürste auf dem Tisch und versuchte, damit ihr wirres Haar zu ordnen, dabei zog sie ein paar Haarnadeln heraus, die sich in den Strähnen verfangen hatten. Sie drückte gegen die Tür und fand sie unverschlossen, sodass sie vorsichtig in das größere Zimmer des Häuschens spähen konnte.
Es war leer, das Feuer im Kamin war bis auf die Glut heruntergebrannt. Die Tür ins Freie war geschlossen. Hatte er sie hier allein zurückgelassen? Das würde er sicher nicht tun. Sie konnte spüren, dass er noch ganz in der Nähe war.
Sie schlich barfuß über die groben Bodendielen zur Tür und öffnete sie vorsichtig. Es regnete noch immer heftig, draußen war alles grau und kalt. Edward stand im Garten, mitten im Unwetter. Er war nur halb angezogen, hielt die Arme ausgebreitet und den Kopf in den Nacken gelegt, als würde er zum Himmel hinaufschreien. Das Wasser lief in kleinen Bächen über seine nackte Haut.
Er sah aus wie ein heidnischer Gott, der die Elemente beherrscht. Aber als er sich zu ihr umdrehte, konnte sie wieder die Trauer in seinen Augen sehen.
Elisabeth schluckte die Tränen hinunter, die in ihr aufsteigen wollten. Ohne ein Wort hielt sie ihm eine Hand entgegen.
Einen Moment lang fürchtete sie, er könne sie ausschlagen, er könne sich umdrehen und das zarte Band zwischen ihnen zerreißen.
Doch dann kam er auf sie zu, ergriff ihre Hand und ließ sich von ihr zurück ins Haus führen. Wortlos schloss Elisabeth die Tür, um das Unwetter auszusperren, und griff nach einem achtlos weggeworfenen Umhang, den sie ihm um die Schultern legte. Sie wischte ihm sanft die Regentropfen aus dem Gesicht – und empfand ein wildes, ungestümes Verlangen danach, ihn zu küssen und ihn festzuhalten, bis sein geheimnisvoller, beinahe spürbarer Schmerz verschwunden war.
Die unerwartete Zärtlichkeit, die sie ausgerechnet für Edward Hartley empfand, verwirrte Elisabeth so sehr, dass sie sich abwenden und auf einen wackligen Stuhl setzen musste, der an der Wand stand. Der Stuhl war eines der wenigen Möbelstücke in diesem Raum, abgesehen von einem Tisch, auf dem ein großer Korb stand und der von zwei Bänken flankiert wurde. Die Fensterläden waren geschlossen, doch durch die unebenen Bretter, aus denen sie zusammengezimmert waren, konnte sie es draußen blitzen sehen. Das Gewitter war noch lange nicht vorüber.
Edward schürte die Glut, bis wärmende Flammen aufloderten. Elisabeth sah ihn aufmerksam an, während er an der Feuerstelle stand, seine hochgewachsene Gestalt als Silhouette im Feuerschein. Er hatte den Umhang wieder abgelegt, und sein nackter Oberkörper glänzte im Widerschein der Glut. Er hatte sich das
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