Historical Collection Band 01
durchquerte sie den Saal, die anderen Frauen blieben weit hinter ihr zurück.
Dass ihr alle Blicke folgten, störte sie nicht mehr, ebenso wenig wie ihre Hochzeit mit dem normannischen Baron, die in zwei Tagen stattfinden sollte. Sie stürmte zum Ziel, als könnte sie ihrer düsteren Zukunft entrinnen, über die Linie hinweg, die man im Staub gezogen hatte, und hörte ohrenbetäubenden Jubel.
Begeistert klatschte das Publikum Beifall, und Trahern eilte zu ihr. „Die Siegerin!“ Lachend ergriff er Auders Hand. „Nun musst du den Mann aussuchen, der dir seine Gunst erweisen soll. Vielleicht dein letztes Glück, bevor du Miles de Corlaine heiraten wirst.“ Sein Gelächter erstarb zu einem mitfühlenden Seufzen. „Für deine Zustimmung zu dieser Ehe sind wir dir alle sehr dankbar.“
Mit diesem Lob trübte er ihre Laune, denn sie hatte sich bemüht, den Normannen zu vergessen. Einige Ringkämpfer postierten sich vor ihr, und jeder forderte sie lächelnd zu dem entscheidenden Kuss heraus. Schüchtern und verlegen, wäre sie am liebsten geflohen.
Gunnar stand etwas abseits. Dadurch bekundete er unmissverständlich, dass er nicht erwählt werden wollte. Belustigt musterte er Auder, aber auch voller Bewunderung für ihren Triumph.
„Nun?“, fragte Trahern. „Wer soll dich beglücken?“
Schmerzhaft hämmerte ihr Herz gegen die Rippen. Jeden dieser Bewerber würde ihr Kuss erfreuen, das wusste sie. Und doch ergriff Angst von ihr Besitz. Nein, eine solche Frau war sie nicht … Wenn sie einen der Männer küsste, würde er womöglich glauben, das wäre eine Einladung in ihr Bett. Und einem zweiten Liebhaber wollte sie sich nach jener unerträglichen Erfahrung nicht anvertrauen.
Die Schuld an diesem Dilemma trug Gunnar. Weil sie von ihm zu dem Wettrennen gedrängt worden war, hatte sie daran teilgenommen. Plötzlich erkannte sie die Lösung ihres Problems. Hier gab es nur einen Einzigen, den sie gefahrlos küssen konnte – einen Mann, der sie nicht begehrte.
Zielstrebig ging sie auf Gunnar zu und sah, wie sein Amüsement zu sichtlicher Sorge überwechselte.
„Tut mir leid“, entschuldigte sie sich bei Clár, die an seine Seite getreten war. „Aber nachdem das seine Idee war, soll er bestraft werden.“
Sie hob den Kopf und hauchte einen Kuss auf Gunnars Lippen. Dann wandte sie sich mit einem liebenswürdigen Lächeln ab und ließ ihn stehen.
Als sie davonging, spürte sie, wie er ihr verblüfft nachstarrte.
* * *
G unnar hatte gewusst, Auder würde ihn küssen. Und obwohl er ihr das ausreden wollte, blieben ihm die Worte in der Kehle stecken. Ein Kuss, mehr nicht. Nur flüchtig hatte ihr Mund seinen gestreift, eine harmlose Geste zwischen Freunden. Leicht zu vergessen …
Doch da irrte er sich.
Wie eine Frau einen Mann küsste, ahnte Auder nicht einmal annähernd. In ihren Lippen hatte er die Unschuld eines Mädchens gespürt, dessen Sinnenlust noch nicht erwacht war. Einer fest verschlossenen Frühlingsknospe gleich, verbarg sie ihre schlummernden Gefühle in ihrer Seele und gestattete niemandem, ihr Wesen zu erkennen.
Freimütig hatte sie gestanden, sie wisse nicht, wie sie einen Mann erfreuen und seine Zuneigung gewinnen sollte. Ihre Scheu hatte sie zurückgehalten, von der Entjungferung abgesehen. Als Gemahlin eines mächtigen Barons würde sie im Schatten verschwinden, fürchtete Gunnar. Der Normanne würde sie benutzen und dann nicht mehr beachten. Zudem gab es keine Garantie, dass er tatsächlich den vereinbarten Frieden bewahren würde.
Hatte Auder sich wirklich freiwillig für diese Ehe entschieden? Daran glaubte Gunnar nicht. Wäre sie so willensstark wie ihre Schwägerin Katla, könnte sie sich gegen den Baron behaupten. Doch sie war weichherzig und schüchtern, voller Angst, anderen Menschen Schwierigkeiten zu bereiten.
Während er Clár zu ihrem Haus begleitete, ergriff sie seine Hand. „Warum hat Auder dich geküsst?“ Ihre Stimme klang freundlich. Trotzdem hörte er einen gewissen Unterton heraus, der ihren Argwohn verriet.
„Keine Ahnung. Nicht so wichtig.“ Um Clár zu besänftigen, nahm er sie in die Arme und küsste ihre Wange.
Sie umschlang seine Taille. Und als sie ihren Körper an seinen schmiegte, erkannte er mühelos, wozu sie ihn einlud. Ihr Kuss erwärmte ihn jedoch nicht so verlockend wie Auders Lippen. Wenn sich ihr Mund auch angenehm anfühlte – er entfachte keine Begierde.
Obwohl Auder ihn nur flüchtig geküsst hatte, war jener kurze Moment viel nachhaltiger
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