Historical Collection Band 01
sie schien ihn verzaubert zu haben. Eine Frau brauchte keine Konkubine zu sein, um zu erkennen, ob ein Mann sie begehrte. Sie würde sein Verlangen zu ihrem Vorteil nutzen.
Alex Grayfields Erscheinen änderte alles. Sie konnte die Gefahr umgehen, allein durch die Wüste zu reisen, falls es ihr gelang, ihn dazu zu überreden, sie mitzunehmen. Natürlich unter der Voraussetzung, sie könnte den Scheich dazu bringen, sie gehen zu lassen.
Nein. Der Scheich würde sie niemals einfach gehen lassen. Susannah sank auf die niedrige Bettstatt, die ihr als Schlafstelle diente. Sie musste überlegen. Darum zu bitten, freigelassen zu werden, war viel zu direkt. Wenn es nur darum gegangen wäre zu bitten, hätte sie das schon vor Monaten getan. Nein, sie musste raffiniert vorgehen, und die Tugend dieser Eigenschaft hatte sie während ihrer Zeit bei den Beduinen sehr wohl erkannt. Am Anfang hatte sie den Weg eingeschlagen, den sie für den schnellsten Weg in die Freiheit hielt – sie wollte dem Scheich so lästig fallen, dass er sie schon aus schierer Verzweiflung gehen lassen würde. Doch sie hatte damit nur erreicht, ihn zu reizen und ihre Lage zu verschlimmern. Den Scheich musste man mit Vorsicht behandeln.
Geistesabwesend nahm Susannah die Schleier ab. Sie prüfte die Möglichkeiten, die ihr offenstanden. Was hatte ihr Vater immer über die Diplomatie gesagt? Der erfolgreiche Diplomat wusste stets, die Stärken und Schwächen seines Gegners einzuschätzen. Und er wusste, wann er den Vorzügen eines Mannes schmeicheln musste. Sie hatte auch gelernt, dass es sich bei diesen Vorzügen nicht immer um materielle Dinge handelte, es konnten auch Charakterzüge sein.
Der Scheich hielt sich selbst für einen großzügigen, gastfreundlichen Mann. Und das war er auch, wenn es um politische Großzügigkeit ging. Susannah hatte auf so vielen seiner Feste getanzt, dass sie das bestätigen konnte. Er beköstigte Händler und Karawanenführer mit den besten Speisen, wenn ihre Wege sich kreuzten. Im Gegenzug, da war sie sicher, erhielt er die wichtigsten Neuigkeiten und Erkenntnisse.
Für die Wüstenbewohner war die Politik zurzeit von wahrlich brennendem Interesse. Dieses moussem war ein Fest, aber es würde den übrigen Stämmen auch die Gelegenheit geben, sich auf die Seite des Emirs von Mascara zu schlagen oder nicht. Es lauerten hier viele Gefahren auf die Engländer, obwohl sie sich dessen vielleicht nicht bewusst waren. Der Scheich unterstützte den Emir nicht, und somit auch nicht die Engländer. Er würde wissen wollen, was sich die Fremden von ihrem Besuch hier versprachen. Und um das zu erreichen, würde er sie umgarnen. Allerdings konnte er das bei den Engländern nicht mit seiner traditionellen Großzügigkeit tun. Die Engländer hatten nichts übrig für das, was die Wüstenbewohner üblicherweise als Luxus ansahen.
Der Scheich würde ein entschieden englischeres Geschenk als ein Kamel benötigen, um seine Besucher zu beeindrucken. Er brauchte sie. Sie war das einzig Englische, das der Scheich besaß. Sie würde ihm bewusst machen müssen, wie viel besser es wäre, sie freizugeben. Denn es wäre ein Zeichen seines westlichen Denkens, eine Gelegenheit, die Engländer einsehen zu lassen, dass die Beduinen keine nomadischen Barbaren waren, sondern ein Volk von Kultur, das man tunlichst sich selbst überlassen sollte.
Susannah griff nach einem dünnen Baumwollunterkleid und zog es an. Es war das einzige englische Kleidungsstück, das ihr noch geblieben war. Ihre übrigen Sachen waren ihr an jenem ersten demütigenden Tag genommen worden. Jetzt trug sie nur noch, was der Scheich anwies, ihr zu geben. Doch jeden Abend ihr Unterkleid anzulegen war zu einem nächtlichen Ritual geworden, eine Art des Heimkehrens, die Möglichkeit, wenigstens für wenige Stunden wieder Engländerin zu sein und keine Sklavin.
Sich selbst zu einem Geschenk zu machen, schien ihr eine großartige Idee. Es würde dem Scheich ermöglichen, seine Großzügigkeit hervorzukehren. Allerdings war sie klug genug zu wissen, dass der Vorschlag nicht von ihr kommen durfte. Er musste von Grayfield selbst kommen. Vorhin hatte er sein Interesse an ihr nicht verhehlt. Das würde eine solche Bitte glaubhaft machen, konnte aber auch gegen ihn benutzt werden. Es wäre besser, wenn er vorsichtig vorginge, sonst würden Bassam und der Scheich sein Verlangen ausnutzen, bevor sie es tun konnte. Könnte sie ihn nur an sich binden, dann wäre es wahrscheinlicher, dass er sie
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