Historical Collection Band 01
Gefallen zu sein. Gewiss würde sie es ertragen können, wenn es bedeutete, dass sie weiterleben durfte. Wenn sie am Leben blieb, könnte sich später eine bessere Gelegenheit zur Flucht ergeben. Ihr Vater hatte ihr immer geraten, vorsichtig vorzugehen. Aber genauso gern hatte er auch gesagt: niemals dem Feind ergeben. Sie würde also der Wüste die Stirn bieten und die Mission ihres Vaters erfüllen. Sobald sie das Konsulat in Algier erreicht hätte, würde sie die Information weitergeben können, die herauszufinden ihr Vater ursprünglich geschickt worden war.
Ein Mädchen kam leise ins Zelt geschlüpft, in den Armen eine Auswahl hauchdünner Stoffe, die es Susannah entgegenhielt. „Der Scheich bittet dich, dich zu ihm zu gesellen. Mir ist aufgetragen, zu warten und dir beim Frisieren zu helfen.“
Susannah nickte. Ihre Kenntnisse des Arabischen hatten sich im Lauf der Monate so sehr verbessert, dass sie in der Lage war, einfache Sätze zu verstehen. Das Spiel beginnt, dachte sie, während sie sich ankleidete. Für englische Verhältnisse waren die Gewänder skandalös. Sie enthüllten sehr viel mehr als das Nachtkleid jeder anständigen Engländerin. Für beduinische Verhältnisse waren die Kleider lediglich prächtig. Der Scheich hatte keine Kosten gescheut. Susannah begriff natürlich, wie wichtig es ihm war, seinen Reichtum zur Schau zu stellen. Es gefiel ihr nur nicht, dass sie selbst dabei ebenfalls zur Schau gestellt wurde.
Das Mädchen bürstete ihr das Haar aus und ließ es offen über ihren Rücken fallen. Gleich darauf betrat eine weitere Frau das Zelt. Sie hatte eine weiche Tasche mit Schmuck dabei, den sie Susannah anlegte: einen Goldreif auf den Kopf und Armbänder an die Handgelenke. Obwohl es heute nicht der erste Abend war, an dem sie für den Scheich und seine Freunde tanzen würde, konnte Susannah sich dennoch nicht daran gewöhnen. Die übrigen Frauen sagten ihr, welch große Ehre es sei, für den Scheich zu tanzen, aber Susannah hatte jedes Mal wieder das Gefühl, eine Sklavin auf dem Sklavenmarkt zu sein. Für ein solches Leben war sie nicht erzogen worden. Sie war die Tochter eines Diplomaten, aufgewachsen in einer angesehenen englischen Familie. In ihren wildesten Träumen hätte sie sich nicht ausgemalt, sie könnte jemals in einem Beduinenlager enden, wo es ihre Pflicht sein würde, für das persönliche Vergnügen eines Fürsten der Wüste zu sorgen.
Die Frau hielt das Zelt auf. Es war Zeit zu gehen, Zeit, ihr Selbstmitleid beiseite zu lassen. Wenn sie überleben wollte, musste sie mit aller Hemmungslosigkeit tanzen, die sie aufbringen konnte. Sie musste aufreizend sein, locken und verwehren und jeden Mann im Zelt bezaubern, während sie den Scheich glauben machen musste, dass sie nur für ihn tanzte.
* * *
A lex ruhte auf einen Ellbogen gestützt gelassen auf den Kissen. Er griff nach einer weiteren Dattel aus einer der Schalen, die man vor die Gäste gestellt hatte. Die Atmosphäre im Zelt des Scheichs war entspannt. Das Fest hatte jeden in eine großmütige Stimmung versetzt. Nun, fast jeden, verbesserte Alex sich. Ein dunkeläugiger Mann mit einer Narbe auf der linken Wange saß mit brütender Miene neben dem Scheich. Bassam hieß er, glaubte Alex sich zu erinnern. Das riesige Zelt barst fast von den vielen Gästen, die es bevölkerten. Da war es nicht leicht, die vielen Namen zu behalten. Aber er erinnerte sich an die wichtigen darunter.
Eine Bewegung im hinteren Teil des Zelts ließ den Scheich in die Hände klatschen, um jedermanns Aufmerksamkeit zu erregen.
„Es wird getanzt“, übersetzte Alex für Crispin.
„Hast du auf deiner Tanzkarte einen Walzer für mich aufgehoben?“, fragte Crispin spöttisch.
Alex lachte. „Die Favoritin des Scheichs wird tanzen. Ich glaube, ich ziehe diese Art von Tanz vor. Ich brauche nur hier zu sitzen und zuzusehen. Keine Tanzkarten, keine Vorstellungen, keine Erwartungen.“
„Keine heiratswütigen Mamas“, warf Crispin ein.
„Es gibt einen Grund, weswegen ich England meide.“ Alex hielt inne, als ein Trommelwirbel erklang und seine Stimme übertönte. Aber er bezweifelte, dass er überhaupt ein Wort herausgebracht hätte. Die Tänzerin hatte sich vorsichtig einen Weg durch die Menge gebahnt, bis sie die kleine freie Fläche vor dem Scheich erreichte, und nun drehte sie sich vor ihm in einem Wirbel aus türkisfarbener Seide. Ihr hellblondes Haar, ebenso wie der durchsichtige Schleier waren wie ein verführerischer Vorhang, der
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