Historical Collection Band 03
da man sie mit der gestohlenen Spitze ertappt hatte. Die Panik, die Erkenntnis, wie tief sie gesunken war und wo sie schließlich enden würde.
Aber die Spitze hätte ihr den Verkauf eines Häubchens gesichert und damit verhindert, dass sie eine weitere Nacht ohne Nahrung blieb. Eine weitere schwierige Entscheidung unter vielen in den vergangenen paar Monaten. Die Entscheidung zu stehlen hatte schließlich zu der schwierigsten Entscheidung von allen geführt: eine Nacht mit einem Mann oder das Gefängnis.
Der Wunsch davonzulaufen hielt ihren ganzen Leib in Anspannung. Sie holte tief Luft. Ein Mann, eine Nacht, einhundert Guineas. Mehr als das Doppelte von dem, was sie brauchte, um ihre Schulden bei dem Ladeninhaber und der Bordellwirtin zu tilgen. Mit dem Übrigen würde sie, wenn sie es nur vorsichtig verwendete, ihre finanziellen Leiden beenden. Und viel wichtiger als das – sie würde nicht auf einem Schiff in die australische Strafkolonie landen.
Begierig darauf, ihre Teilnahme zu gewinnen, hatte Mrs B. ihr versichert, dass all ihre Kunden Gentlemen und großartige Liebhaber seien. Julia schenkte ihr keinen einzigen Moment Glauben. Ihr verstorbener Mann war in den Augen der Welt auch ein Gentleman gewesen. Im Schlafgemach hatte es ganz anders ausgesehen.
Doch sie hatte ihn überlebt, und sie würde auch diese Auktion überleben – genauso wie die Nacht, die folgen würde. Sie presste die Lippen zusammen, um ihr Zähneklappern zu unterbinden, als zwei Mädchen mit wild flatternden, orientalisch anmutenden Schleiern kreischend vor Aufregung von der Bühne liefen.
„Ab mit dir“, sagte Mrs B. und gab ihr einen Schubs.
Julia musste schlucken. Mit zitternden Händen rückte sie die mit Federn besetzte Maske zurecht, um besser sehen zu können, und eilte auf die Bühne. Das nackte Holz war kalt unter ihren Fußsohlen, die hauchdünne Tunika wirbelte mit jeder Bewegung ihrer Hüften um ihre Knie.
Sie fühlte sich sehr seltsam, sehr nackt.
Laternen, die an der mit römischen Ruinen bemalten Kulisse hingen, beleuchteten die Bühne. Dort stieg Julia auf ein niedriges Podest. Die schweren Vorhänge schluckten zwar ein wenig von dem Lärm um sie herum – den Rufen nach mehr Wein und dem Gelächter –, trotzdem traf er sie mit der Kraft eines Sturms. Männer. Begierig danach, die Ware zu begutachten.
Ein Mann, eine Nacht. Je anziehender sie aussah, desto mehr Geld würde sie verdienen. Also drehte sie sich leicht zur Seite, schob die Hüfte vor und warf das Haar über die Schulter, wie Mrs B. sie angewiesen hatte. Julia probierte ein verführerisches Lächeln und hoffte nur, die Männer könnten nicht sehen, wie schwer es ihr fiel oder wie sehr sie am ganzen Leib zitterte und wie schnell ihr Herz schlug. Die Männer dort unten in jenem Raum hinter den verschlissenen roten Samtvorhängen waren alle reich und sorgfältig von Mrs B. ausgesucht worden. Sie gehörten alle zur besten Gesellschaft, zum sogenannten haut ton .
Julia konnte nur hoffen, sie würde die Aufmerksamkeit eines freundlichen, großzügigen Mannes erregen. Und ganz besonders, dass es niemand war, den sie kannte. Die Schande wäre einfach zu entsetzlich.
Mrs B. bahnte sich einen Weg durch die Öffnung im Vorhang. Begeistertes Gebrüll wurde laut. Julia glaubte, dass ihr Herz so laut schlug, um über den Lärm hinweg gehört zu werden.
Der kräftige Mann in den Kulissen zog langsam an den Seilen für den Vorhang. Ihre Knie begannen zu zittern. Julia zwang sich, ruhig zu bleiben, und betete, dass sie nicht von ihrem Podest herunterfiel.
Was sollte sie tun, wenn niemand ein Gebot für sie abgab?
Alistair streckte die Beine aus und gähnte herzhaft. Die Mädchen waren genauso ordinär, wie er es erwartet hatte. Nicht einmal der Gedanke, sich mit zwei oder drei von ihnen auf einmal zu amüsieren, traf seinen Geschmack für das Exotische.
Zu seiner Rechten wand Percy sich unruhig auf seinem Sitz. „Hast du die Zitzen der letzten Kleinen gesehen?“, sagte er heiser. Schweiß lief von seiner Schläfe bis zum Kinn. „Du hättest mich um sie bieten lassen sollen.“
Alistair knirschte mit den Zähnen. „Zitzen?“ Der Bursche redete wie ein Schuljunge. „Das waren Brüste. Und außerdem hast du kein Geld.“
„Du könntest …“
„Ich könnte, aber ich werde dir kein Geld leihen, damit du dich mit der französischen Krankheit anstecken lässt.“ Ebenso wenig würde er ihm eine Hure zum Geschenk machen, sosehr der Junge auch
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