Historical Collection Band 5
Frisiermantel aus Spitze lag wie zufällig hingeworfen auf ihrem Körper. Ihr bloßer Rücken, ihre Knöchel, ihre Füße schauten hervor. Von ihren vollen Brüsten war gerade so viel zu sehen, dass Constance meinte, ein bisschen von ihren Brustwarzen erahnen zu können. Die schöne Frau schaute den Betrachter des Bildes nicht direkt an, sondern auf einen anderen Punkt – vielleicht zu einem Liebhaber hinüber. Die Lider waren fast geschlossen. Ihr Blick wirkte verführerisch; ihre vollen Lippen deuteten ein träges Lächeln an.
Es war ein provozierendes Bild und ganz unverhohlen erotischer Natur. Constance fand es ein wenig verstörend. Sie berührte die Perlen, die nun um ihren Nacken lagen. Es war, als blicke sie auf eine andere Version ihrer selbst. Das Bild war wie ein Spiegelbild, von dem sie nicht gewusst hatte, dass es überhaupt existierte. Eine andere Art von Constance, die verborgen gewesen war, solange sie ihr respektables, bürgerliches Leben geführt hatte.
Tränen verschleierten ihre Sicht. Annalisa! Sie hatte sie nie kennengelernt, als sie noch La Perla war: wunderschön, berühmt-berüchtigt und die begehrteste und exklusivste Kurtisane von ganz London. Die hinfällige Frau, die so plötzlich und unerwartet vor Constances Tür gestanden hatte, war nur ein schwacher Schatten der üppigen Schönheit auf dem Porträtbild gewesen. Die Schwindsucht war dabei, sich durch ihren Körper zu fressen.
Annalisa. La Perla. Constances Zwillingsschwester.
Constance trocknete ihre Augen mit einem spitzenbesetzten Taschentuch. Das Taschentuch gehörte Annalisa ebenso wie das Haus, das Constance zurzeit bewohnte; und die Kleider, die sie trug. Es hatte sich zuerst seltsam angefühlt, in das Leben ihrer Schwester hineinzuschlüpfen, aber Constance glaubte fest daran, dass sie auf diese Weise etwas über diese exotische Person, von deren Existenz sie bis vor sechs Monaten nicht einmal gewusst hatte, erfahren konnte.
Sie drehte dem Porträt den Rücken und strich über die Bettdecke aus Satin. Blutrot. Purpur. Zinnober. Die Farbe der Sünde. Constance schauderte, als habe ein leichter Sommerwind ihre Haut gestreift. Sündig. Das Bett roch regelrecht nach Sünde. Mit solchen Worten hätte Granville, Constances verstorbener Ehemann, Annalisa wohl beschrieben, wenn er ihr je begegnet wäre. Granville, dieser Mann Gottes, der seine ehelichen Pflichten genauso ausgeübt, wie er seine Sonntagspredigten gehalten hatte: mit pingeligem Widerwillen. Als Annalisa von ihrem sündigen Leben erzählt hatte, hatte ihr Bericht in Constances Ohren verboten und schockierend angenehm geklungen. So angenehm, dass Constance sich gefragt hatte, ja, sogar gewünscht hatte, solche Vergnügungen auch einmal zu erleben.
Über dem Bett war ein Spiegel in die Zimmerdecke eingelassen. Neben dem Bett, in einem Nachtschrank aus poliertem Walnussholz, lag eine Auswahl an exotischen Dingen. Die Verwendung einiger von ihnen stellte Constance vor Rätsel. Ein Seil aus Samt, große, farbige Federn. Die süß lächelnden Gesichter dieser elfenbeinernen Gegenstände in ihren hübschen Kleidern, die den Schaft eines Mannes nachahmten, hatte Constance zuerst für Puppen gehalten. Sie errötete. Granville war niemals so hart und so groß geworden.
Sie tauchte ihre Finger in die duftenden Öle, stülpte etwas über ihre Hand, dass wie eine Fessel aus Schwanendaunen aussah, und versuchte sich das dunkle, vergnügte Leben ihrer Schwester vorzustellen. Wie war es gewesen? Wie würde sie sich damit fühlen? Mit einem kräftigen, potenten, begehrenswerten Mann zu sündigen? Ein Mann, der sich seiner Begierden nicht schämte? Sie schloss die Augen, strich mit der Federfessel leicht über ihre Wange und schauderte. In diesem Haus fleischlicher Begierden, das Annalisas Zuhause gewesen war, war es fast möglich, sich vorzustellen, wie das wäre. Eine leichte Erregung ergriff sie.
Constance begann im Ankleidezimmer herumzugehen und überließ sich der dekadenten Atmosphäre des Ortes. Eine Kommode im Ankleidezimmer war voller ungewöhnlicher Unterkleidung. Prächtige Farben, luxuriöse Stoffe. Sie dienten offensichtlich dazu, aufzureizen, zu erregen und zu provozieren. Behutsam legte sie sie ein Paar schwarzseidener Strümpfe an und genoss das weiche, seidige Gefühl auf der Haut.
Ein anderer Schrank war voller Schuhe mit juwelenbesetzten Absätzen. Sie wählte ein scharlachrotes Paar aus, das zu den Bändern an ihrem Strumpfhalter passte. Dann lupfte sie ihr
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