Historical Exclusiv 45
immer noch kein Kind von Gunhild wollte. Schließlich will ein Mann möglichst viele Söhne zeugen.“
„Nicht aber mit dem Fluch des Irrsinns.“ Thorolf schüttelte den Kopf. „Was wirst du tun?“
Rorik setzte sich wieder. „Morgen suche ich Ragnald auf. Ich habe die Absicht, Einervik zu verkaufen.“
„Du willst verkaufen!“, rief Thorolf bestürzt. „Damit ziehst du einen Schlussstrich.“
„Du weißt selbst, dass ich hier nie glücklich war. Ich hinterlasse Othar genug, damit er und seine Mutter versorgt sind, aber …“
„Was?“
„Ich kann sie doch nicht völlig mittellos zurücklassen“, entgegnete er aufbrausend. „Im Übrigen bin ich der Überzeugung, dass Gunhild hinter all dem steckt. Othar wird zwar daran gedacht haben, die wahre Geschichte zu vertuschen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er so berechnend ist, um seelenruhig abzuwarten, bis Ingerd nach dem Begräbnis so viel preisgab, um alle Welt davon zu überzeugen, dass ich der Sohn einer Sklavin bin, und die alte Frau hinterher töten ließ. Othar hätte die Auseinandersetzung mit mir gesucht, sobald er die Neuigkeit erfuhr.“
In Erinnerung an Othars gierige Erwartung, als seine Mutter die halbe Wahrheit über Roriks Geburt verkündete, musste Thorolf ihm Recht geben, aber zufrieden war er noch längst nicht.
„Mir gefällt der Gedanke keineswegs, dass Gunhild überhaupt etwas bekommt“, knurrte er, „dass die Mörderin nicht zur Rechenschaft gezogen wird.“
„Die Leiche von Ingerds Mörder liegt auf dem Grund des Fjords, ohne für das Leben im Jenseits vorbereitet zu sein. Und Gunhild verliert Reichtum, Macht und Ansehen. Das kommt einer Verbannung gleich.“
„Aber was ist mit dir? Du verlierst deine Heimat.“
Gleichgültig zuckte Rorik mit den Achseln.
Thorolf wurde nachdenklich. „Ragnald könnte daran interessiert sein, Einervik zu kaufen“, sagte er gedehnt und beobachtete den Freund forschend. „Drei seiner Söhne haben Ehefrauen und Kinder, und beim Begräbnis erwähnte er, dass einer von ihnen mit dem Gedanken spielt, nach Island zu gehen, weil das Haus für die ganze Sippe zu klein geworden ist.“
„Das würde die Sache erheblich vereinfachen.“ Rorik stand auf und streckte sich. „Ich gehe zu Bett. Morgen spreche ich mit Ragnald und handle mit ihm einen Preis aus. Auch du erhältst deinen gerechten Anteil, Thorolf. Das wäre der Wunsch meines Vaters gewesen.“
„Danke, Rorik, aber das ist nicht nötig. Im Gegensatz zu dir habe ich auf all unseren Raubzügen in England reichlich Gold und Silber eingesackt.“ Er beobachtete Rorik weiterhin scharf und fügte hinzu: „Nicht dass ich mich diesmal bereichern will. Ich begleite dich nur, um dafür zu sorgen, dass du deinen Kopf nicht versehentlich in eine Schlinge steckst.“
„Warum sollte ich das tun?“, entgegnete Rorik leichthin und wandte sich zum Gehen.
„Warum wohl?“, murmelte Thorolf in sein Trinkhorn, während der Freund aus der Halle stapfte. Er hatte das beklemmende Gefühl, die Antwort zu wissen. Eine Antwort, die das Rätsel löste, wieso Rorik die Absicht hatte, Einervik zu verkaufen, ohne Pläne zu haben, sich anderswo niederzulassen. Eine Antwort, die eine Wiedergutmachung an den englischen König für Yvaines Entführung darstellte und Rorik gleichzeitig die Gelegenheit gab, Sitrics Tod zu rächen. Eine Antwort, der er sich nicht verschließen konnte, ohne die Ehre des Freundes zu verletzen.
Rorik hatte die Absicht, sich Edward im Zweikampf zu stellen. Und falls er nicht bereit war, Yvaines Vetter zu töten, rechnete er nicht damit, diese Begegnung zu überleben.
Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung.
Yvaine blickte vom sonnendurchfluteten Hauseingang über den Fjord und dachte über die vergangenen Stunden nach. Die Männer verstauten die Fracht im Seedrachen , der an der Mole vertäut lag.
Das war das Problem. Der ganze Hausrat wurde eingeräumt. Das große Schild war von der Wand genommen worden, das weiße Fell des Eisbären mit Stricken verschnürt. Sogar Egils reich geschnitzte Bettstatt war zerlegt und an Bord gebracht worden. Eigentlich verwunderlich, dass ihr Bett noch in der Kammer stand.
Und das war noch nicht alles. Im Hof verteilte ein Aufseher Haushaltsgeräte an das Gesinde, einige Sklaven erhielten die Freiheit, an die Kinder wurden Geschenke verteilt. Alles deutete darauf hin, dass Rorik die Absicht hatte, nicht nach Einervik zurückzukehren, was Yvaine allerdings bereits von Anna mitgeteilt
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