Historical Exclusiv 45
ihr Antwort zu geben. Sie fröstelte, während sie den Blick zum Himmel richtete.
Seltsam, keine Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben. Warum aber …
Ein stechender Schmerz zerbarst in ihrem Kopf. Sie schrie, hob taumelnd die Arme. Ihre Finger griffen ins Leere, sie versuchte sich umzudrehen, zu schreien, doch der Erdhügel raste auf sie zu, Dunkelheit rückte näher. Wieder bewegte sich ein Schatten. Das flüchtige Auftauchen einer zähnefletschenden Fratze, die zerfloss, sich auflöste … und dann war alles schwarz.
Im Moment des Erwachens wusste sie, was geschehen war, und das Grauen traf sie mit der Wucht eines Keulenschlags. Ihr Herzschlag setzte auf. Nebelschwaden waberten vor ihren Augen, verschleierten ihr die Sicht.
Ein Schiff, nicht der Seedrache . Eine Besatzung aus Wikingern. Kaum ein halbes Dutzend. Ein hoch gewachsener blonder Anführer mit kalten blauen Augen und böse triumphierendem Gesichtsausdruck. Yvaine schloss die Augen wieder, blieb auf den Deckplanken liegen, wagte nicht, sich zu bewegen vor Angst, was passieren würde, wenn Othar entdeckte, dass sie bei Bewusstsein war.
Die pralle Sonne stach auf ihren schmerzenden Kopf. Doch dieser Schmerz war lächerlich im Vergleich zur Panik, die ihr Inneres aufwühlte.
Wie lange lag sie schon hier? Sie hatte keine Ahnung, aber die Frage half ihr, sich zu konzentrieren, jedenfalls so weit, um ihre verwirrten Sinne zusammenzuhalten und dem Drang zu widerstehen, sich ins Meer zu stürzen. Rorik würde sie suchen. Das wusste sie ohne jeden Zweifel. Sie musste nur am Leben bleiben, bis er sie fand.
Wohin brachte Othar sie? Das Schlingern des Schiffes sagte ihr, dass sie bereits auf hoher See waren …
„Sie ist lange ohne Bewusstsein. Wie hart hast du sie geschlagen?“
Othars Stimme direkt über ihr ließ sie vor Entsetzen die Finger krümmen. Der Atem blieb ihr in der Kehle stecken.
„Nicht besonders hart“, knurrte eine zweite Männerstimme. „Sie müsste längst wieder bei sich sein. Wer ist sie eigentlich?“
„Du hast Recht“, sagte Othar, ohne auf die Frage einzugehen. „Sie schläft zu lange für einen harmlosen Schlag auf den Kopf.“
Er gab ihr einen Fußtritt in die Rippen.
Yvaine schrie vor Schreck auf. Nun konnte sie nicht länger vorgeben, ohnmächtig zu sein, rollte zur Seite und setzte sich auf.
Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte Othar den Mann fort, bevor er sich auf einen umgedrehten Holzeimer setzte und sie anlächelte. „Wie schön“, sagte er freundlich, als sei sie aus einem erholsamen Schlaf erwacht. „Du bist wach. Ich fing schon an, mich zu langweilen, ohne mit jemandem reden zu können.“
Benommen starrte Yvaine ihn an. „Deine Männer“, brachte sie endlich hervor.
„Mit denen kann ich nicht über alles reden“, höhnte er. „Die kapieren nichts. Du wohl auch nicht, aber wenn ich dir alles erklärt habe, wirst du mir dankbar sein.“
„Dankbar …“
„Weil ich dir das Leben gerettet habe. Meine Mutter hätte dich töten lassen.“
„Sie hat es versucht … dieser Mann …“
„Ja. Sie hat euch Hjorr hinterhergeschickt. Ich riet ihr davon ab, weil ich wusste, dass Hjorr keine Chance gegen Rorik hat. Aber sie wollte nicht auf mich hören.“
„Du hast Einervik gar nicht verlassen“, murmelte Yvaine, während sie sich bemühte, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Nein. Ich habe mich auf einer kleinen Insel im Fjord versteckt. Weit genug entfernt, damit Rorik nicht mitbekam, dass ich abwarte. Ich wusste, dass ihr mit dem Stein zurückkommt. Das habe ich auch meiner Mutter gesagt, aber sie hasst Rorik so sehr, dass sie nicht auf mich hören wollte.“ Othar beugte sich vor. „Ich glaube, sie ist verrückt geworden“, flüsterte er vertraulich. „Ich weiß gar nicht, ob sie über Rorik oder über Sitric sprach. Sie hasste auch dich. Aber das kann dir egal sein, denn jetzt habe ich das Sagen.“
Alles in Yvaine sträubte sich gegen seine Nähe, gegen sein lächelndes Gesicht, seine fiebrig glänzenden Augen. Sie hatte Mühe, sich ihren Abscheu nicht anmerken zu lassen und ruhig zu sprechen. „Wo ist deine Mutter, Othar?“
„Auf der Insel. Sie hätte es ein zweites Mal versucht, verstehst du. Ich konnte nicht zulassen, dass sie dich tötet. Und außerdem“, fuhr er bissig hinzu, „hat sie mir nicht zugetraut, meinen Plan durchzuführen. Aber sie hat sich geirrt.“
„Du hast Gunhild auf einer Insel ausgesetzt?“
„Wenn du es so nennen willst“, antwortete er mit
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