Historical Exclusiv 45
sichtlich im Zwiespalt mit diesem neuen Zustand.
Er sah zu Gabrielle de Perricault, die den unwegsamen Pfad, den sie entlangritten, ohne Murren auf sich nahm und die Beschwerlichkeiten ebenso lange und geduldig durchhielt wie er, Leon und die Pferde. Sie klagte nicht – nicht über ihre Frisur, die Kleidung, das Essen oder gar die Nachtlager.
Jeden Abend nahm sie ohne Widerspruch das Lager hin, das sich ihnen bot. Yves kannte viele Ritter, die von ihrer Haltung einiges hätten lernen können.
Es war seltsam, wie rasch ihr Gefühlsausbruch sich gezeigt hatte und dann wieder verschwand. Nach wie vor war er sich sicher, seine illegitime Geburt musste für sie von besonderer Bedeutung sein.
Gabrielle wandte ihr Pferd abrupt herum, und Yves hatte das unheimliche Gefühl, dass sie seine Gedanken kannte und diesen nicht zustimmte. Sie zügelte das Tier und sah ihn herausfordernd an. Er tat dasselbe mit Merlin und fühlte gleichzeitig Leons abschätzenden Blick auf sich gerichtet.
Der Ort, an dem sie gehalten hatten, war nicht ungewöhnlich, nicht zu unterscheiden von den Wäldern, durch die sie bereits geritten waren. Eine kleine Lichtung, die dicht mit Piniennadeln bedeckt war, und ein kleiner Flecken Himmel, der über ihren Köpfen sichtbar wurde. Es gab nicht einmal einen Bach, wo die Pferde ihren Durst löschen konnten.
Dem Stand der Sonne nach musste es fast Mittag sein.
Gabrielle sah zu, wie Yves die Stelle begutachtete, und wartete offenbar darauf, dass sein Blick sich ihr wieder zuwandte. Ein fahler Sonnenstrahl streifte ihr Gesicht, die Kapuze war während des Rittes ein wenig verrutscht. Mit der blassen Haut wirkten ihre Züge wie aus Stein gemeißelt.
Sie machte einen unnachgiebigen Eindruck. Saint-Roux hatte einmal mehr das Gefühl, an einem unsichtbaren Vorbild gemessen und für mangelhaft befunden zu werden. Dass es die Umstände seiner Geburt waren, die Gabrielle ihm vorhielt, war mehr als enttäuschend, denn diese war das Einzige, das er nicht ändern konnte.
Sie sah ihn an, als ob sie seine Gedanken lesen konnte. Er nahm den Helm ab und hielt ihrem festen Blick stand.
„Warum halten wir hier an?“, fragte er, als ihm klar wurde, dass sie von sich aus nichts erklären würde.
Sie hob das Kinn, wenngleich sie unverändert zu ihm schaute, und Yves wusste, ihre Worte würden ihm nicht gefallen. „Ihr könnt von hier an nicht mit uns weiter reiten, ohne dass Euch die Augen verbunden werden.“
„Was hat das zu bedeuten?“, wollte er wissen, und seine Stimme machte sein Missfallen deutlich. Solch ein Vertrauensbruch zwischen ihnen war unbegründet! Das war gegen jede Vernunft!
„Ihr müsst Euch die Augen verbinden lassen“, wiederholte Gabrielle ohne jede Regung.
„Warum?“ Dieses Wort stieß er in ungewohnter Härte hervor.
„Ich kann es nicht riskieren, dass ein Außenstehender den Ort kennt, an dem die Truppen, die meinem Haus treu ergeben sind, lagern.“ Sie presste die Lippen zusammen. „Sicher könnt Ihr, der Ihr vor neugierigen Ohren gewarnt habt, verstehen, dass dies notwendig ist.“
Diese Frau hatte Vorurteile wegen seiner Herkunft, und nun misstraute sie auch noch seinem Wort! Das war entsetzlich! Yves kämpfte mit sich, um sein plötzlich aufbrausendes Temperament zu zügeln.
Noch nie war er so gedemütigt worden!
Niemals hatte man ihn mit solcher Missachtung behandelt!
Mochte sein Vater auch unehrenhaft gehandelt haben, er selbst hatte sich seine Sporen ehrenhaft verdient und aus eigener Kraft! Dieses Weib schuldete ihm den gebührenden Respekt für seine Leistungen, besonders da er sie unter solch Unbill erworben hatte!
Mit einiger Mühe gelang es ihm, die Ruhe in seiner Stimme wiederzuerlangen, obgleich seine Worte kurz angebunden waren. „Ihr habt meine Dienste für Eure Sache geworben.“
„Euer Schwur gilt dem Herzog zuerst“, entgegnete Gabrielle gelassen. „Wie kann ich wissen, welche Absichten er verfolgt? Ihr sagtet selbst, dass der Comte de Tulley bereits um Eure Hilfe in dieser Sache bat. Wie kann ich wissen, wem wirklich Euer Schwert gehört?“
Dass sie ihre Meinung so verstandesmäßig begründen konnte, versetzte ihn noch mehr in Wut. Trotz des hämmernden Pochens seines Pulses in den Ohren war er entschlossen, die Auseinandersetzung friedlich zu lösen.
„Der Herzog entließ mich aus seinen Diensten“, entgegnete er und zwang sich, ruhig zu bleiben.
Gabrielle zuckte gleichgültig die Schultern, und in Yves erwachte das Verlangen, sie zu
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