Historical Exclusiv 45
begleitete.
„Nicht von dieser Seite“, gestand Yves ein. „Die Burg ist leicht zu verteidigen.“ Er wunderte sich daher erneut, dass Philippe die Festung so ohne Weiteres eingenommen hatte.
Hatte Gabrielle mit ihrem Verdacht recht? Doch bereits der Gedanke an sie und ihre fesselnden violetten Augen lenkte ihn von der vor ihm liegenden Aufgabe ab.
Niemals zuvor hatte er eine Frau getroffen, mit der er sich so aufrichtig unterhalten konnte, und die sofort begriff, wie wichtig Strategie und Planung waren. Er hatte ihr mehr offenbart, als er je einem anderen anvertraut hatte, und doch hatte er nicht das Gefühl, sich bloßgestellt zu haben. Er fühlte sich ruhiger als je zuvor, so als hätte die Last seiner Vergangenheit nicht so viel Gewicht, wie er lange geglaubt hatte. Für einen Mann, der seine Gedanken immer für sich behielt, war das außergewöhnlich genug. Gabrielle hörte ohne Vorurteil zu. Sie nahm ihn so wie er war und hielt ihm seine illegitime Abkunft nicht vor. In der Sorge um ihren Sohn teilte sie jene Gefühle, die das Leben der meisten Frauen bestimmten. Doch das war eine Regung, die Yves ohne Weiteres verstand.
Er fragte sich plötzlich, wie es sein musste, einen Platz in ihrem Herzen zu besitzen. Eine ungekannte Sehnsucht durchströmte ihn in einer solchen Intensität, dass er sofort diesen Gedanken verbannte und sich zwang, die entmutigend hohen Mauern von Perricault erneut in Augenschein zu nehmen.
Nach reiflicher Überlegung kam er zu der Überzeugung, dass kein Angriff, keine Überraschung groß genug sein konnte, Zugang zu dem Kastell zu erlangen, ohne Unterstützung eines der Burgbewohner, denn diese Festung konnte man mit einigen wenigen Mannen verteidigen.
Aber vielleicht verkannte er die Lage.
„Näher“, drängte er Leon, und die beiden schlichen in aller Stille zur Brücke hin. Das dichte Unterholz des Waldes verbarg sie vor Entdeckung, besonders da sie in schlichte, braune Umhänge gehüllt waren. Der Nebel, der über dem Fluss lag, unterstützte ihre Mission.
Sogar zu dieser frühen Stunde herrschte reges Treiben auf der Brücke. Yves konnte die Stiefeltritte der Männer auf den Holzplanken stampfen hören, noch bevor sie angelangt waren. Nachdem er merkte, wie sehr der Schall durch den Nebel getragen wurde, bedeutete er seinem Begleiter stumm, sich noch leiser zu bewegen.
Im Osten wurde der Himmel hell, und allmählich konnte Saint-Roux eine große Anzahl Männer zu Pferd und gut bewaffnet erkennen, die auf dem Weg zu den Durchgängen waren. Schwer beladene Wagen und Karren fuhren durch die offenen Tore.
Sollte Seymour doch recht gehabt haben?
Yves und Leon wechselten einen Blick und zogen sich dann in das dichte Waldstück zurück, um zu lauschen und zu beobachten.
„Hallo, Reynaud!“, rief ein Söldner. „Hast du genug Bier auf dem Karren, um Monsieur de Trevaines Bauch zu erwärmen?“
Der Mann, der den Wagen lenkte, gab dem vorgespannten Esel einen leichten Hieb mit der Peitsche. „Genug, selbst für einen Diebskerl wie dich!“, erwiderte er.
Der Mann lachte, dann passierte der Karren die Brücke, die den Nebenarm des Flusses überspannte. Yves zeichnete einen groben Plan in den Waldboden, wies Richtung Osten und sah Leon fragend an.
Der nickte nachdrücklich, dann deutete er wieder auf die rege Geschäftigkeit auf der Brücke.
Ein prächtiges Ross aus edler Zucht mit einer wertvollen Schabracke trabte den Weg entlang. Sein Reiter hatte eine strahlende Rüstung angelegt und trug einen karminroten Umhang. Zwei Knappen ritten vor dem Streitross einher. Einer von ihnen trug hocherhoben eine Standarte von gleicher roter Farbe. Dahinter folgte eine Schar Ritter, und daran schloss sich der Zug der Fußsoldaten.
Yves blickte zu Leon, der auf das Wappen auf der Brust des Ritters deutete. Er bewegte seine Lippen, ohne den Namen laut auszusprechen.
„Philippe de Trevaine.“
Saint-Roux kniff die Augen zusammen und betrachtete den Ritter erneut. Dies war also sein Gegner. Es war nicht möglich, viel von ihm zu erkennen, denn er trug Helm und Rüstung. Statur und Haltung passten zu einem Mann, der nicht viel älter war als er selbst.
Philippe ritt den Weg von den Burgtoren hinab und führte sein Gefolge über die Brücke. Sobald er das andere Ufer erreicht hatte, gab er seinem Streitross die Sporen. Der Geleitzug galoppierte den Weg entlang und war in wenigen Augenblicken im dichten Wald verschwunden.
Stille kehrte ein.
Seymour hatte recht. Es schien, als
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