Historical Exclusiv 45
Mast hinauf und rissen das Segel herum. Gebannt verfolgte Yvaine das Manöver, und erst jetzt fiel ihr auf, dass das Segel keine Kriegsbemalung aufwies. Die große Segelfläche war mit senkrecht verlaufenden roten und weißen Streifen bemalt. Sie sah auch keinen mächtigen schwarzen Raben, wie sie von Kriegsschilderungen gehört hatte. Verwundert blickte sie den Mast hinauf, an dessen Spitze eine dreieckige vergoldete Windfahne landwärts schwenkte. An der Unterseite der Windfahne flatterten kleine Wimpel. Und oben an der Spitze schien eine Drachenfigur den Horizont abzusuchen.
Geblendet vom grellen Licht, schlug sie die Augen nieder, spürte die heilsame Wärme der Sonne im Rücken und biss noch ein Stück von dem Trockenfisch ab.
„Was hat Euren Gatten dazu getrieben, Euch während eines Wikingerüberfalls auszupeitschen?“
Die unvermutete Frage ließ Yvaine hochfahren, als habe der Wikinger die Peitsche gegen sie erhoben.
„Nun?“, hakte er auf ihren verdutzten Blick hin nach. „Habt Ihr ihn so sehr erzürnt? Habt Ihr Euch mit einem anderen eingelassen? Was habt Ihr angestellt, um so schwer bestraft zu werden?“
„Nur zu, gebt mir die Schuld!“ Vor lauter Entrüstung fand Yvaine die Sprache wieder. „Ich habe Ceawlin bis zur Raserei erzürnt? Pah. Allein die Tatsache, dass ich Atem geholt habe, reizte ihn bis zum Wahnsinn in den fünf Jahren unserer Ehe.“
„Fünf Jahre?“ Seine Brauen zogen sich zusammen. „Damals seid Ihr noch ein Kind gewesen.“
„Ich war vierzehn“, antwortete sie schroff. „Und? Ihr Nordleute macht es doch nicht anders, wenn eure Frauen euch die Stirn bieten. Wahrscheinlich seid ihr noch grausamer.“
„In meinem Land, Lady, hat eine Frau das Recht, sich von ihrem Ehemann zu trennen, wenn er sie schlecht behandelt. Es sei denn, er kann beweisen, dass sie ihm untreu war. In meinem Land hat eine Frau sogar das Recht, sich von einem Ehemann zu trennen, der sie schlecht versorgt und faul ist. Oder wenn er seine Brust in der Öffentlichkeit entblößt.“
„Wenn er seine Brust entblößt?“ Yvaine war fassungslos. „Ihr haltet mich wohl für schwachsinnig. Ich glaube Euch kein Wort.“
Seine Mundwinkel zogen sich belustigt hoch. „Keineswegs. Aber ich sage die Wahrheit. Mein eigener Onkel benutzte diesen Vorwand, um seine Frau loszuwerden, deren Zunge schärfer war als jede Streitaxt auf diesem Schiff. Ein Mann, der seine Brust in der Öffentlichkeit entblößt, benimmt sich schamlos und beweist schlechten Geschmack.“ Er berührte ihre honigfarbenen Locken, die ihr schimmernd über die Schultern fielen, in einer sanften Liebkosung, die vorüber war, ehe sie sich ihr entziehen konnte. „Und eine verheiratete Frau hält ihr Haar bedeckt.“
„Ach.“ Hitze überflog ihre Wangen. Bis zu diesem Augenblick hatte sie keinen Gedanken an ihr Aussehen verschwendet. Und mit einem Schlag wurde ihr peinlich bewusst, dass sie seit Tagen auf gewisse Annehmlichkeiten verzichten musste – zum Beispiel auf Seife und Kamm. Sie fragte sich verlegen, ob Rorik den durchdringenden Hammelgeruch bemerkte, der ihr entströmte, und ärgerte sich gleichzeitig, dass ihr dieser Gedanke in den Sinn kam.
„Zu schade, dass ich mich nicht von Ceawlin scheiden lassen konnte“, murmelte sie gereizt. „Aber unsere Ehe sollte meinem Vetter Nutzen bringen. Wieso reden wir eigentlich davon?“
„Weil ich Euch kennen lernen möchte, Lady. Vor allem interessiert mich dieser Vetter.“
„Der König?“, fragte sie stirnrunzelnd. „Ihr wollt etwas über Edward erfahren?“
„Edward“, wiederholte er gedehnt. „Ja.“
„Aber was …?“
Plötzlich hielt sie inne. Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz. Lösegeld. Natürlich. Wieso hatte sie nicht schon früher daran gedacht? Der Weg in die Freiheit war verlockend nahe. Die Wikinger waren auf Beute aus, und sie hatte ihnen viel zu bieten. Die Erleichterung machte sie schwindelig. Es kostete sie einige Mühe, ihren Eifer zu verbergen.
„Was wollt Ihr denn wissen?“, fragte sie gespielt gleichmütig, und vor ihrem inneren Auge tanzten Münzen und Edelsteine.
„Zunächst möchte ich wissen, warum dieser Vetter Euch im zarten Alter mit einem gewalttätigen Scheusal verheiratet hat.“
„Ich … was ?“
„Meine Frage war ganz einfach. Vor fünf Jahren seid Ihr verheiratet worden. Wenn ich richtig rechne, muss es im Jahr von Alfreds Tod gewesen sein.“
„Ja, aber …“ Sie blickte ihn scharf an. „Woher wisst Ihr
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