Historical Exclusiv 45
Gaston war von den Geschichten, die man erzählte, verzaubert. Seine Pflichten als Knappe schien er völlig vergessen zu haben.
Der Ritter schüttelte den Kopf, lächelte und überging diese Nachlässigkeit.
Thomas’ Augen glänzten vor Aufregung, obwohl er immer noch kein Wort sprach. Neben seiner Mutter sitzend, pochte er zeitweise auf die Bank oder zupfte sie stumm am Ärmel, um auf einen fahrenden Sänger oder Akrobaten zu zeigen.
Yves war beinahe so stumm wie der Junge. Die Wärme seines Schenkels, der ab und zu gegen den ihren streifte, ließ Gabrielle von Kopf bis Fuß erbeben. Wenn sie mit ihm sprach, wandte er ihr den Kopf zu. Sein Blick war warm, und das sanfte Lächeln gab ihr das Gefühl, die einzige Frau auf dieser Welt zu sein.
Wiederholte sie die Torheit ihrer Mutter, indem sie so einen ansehnlichen Mann ehelichte? Doch der Wein und die lärmende Festlichkeit brachten sie dazu, sich nicht darum zu kümmern. Alles in ihrer kleinen Welt war in Ordnung. Zum ersten Mal seit langer Zeit, wenn nicht gar zum ersten Mal überhaupt.
Sie wollte den Augenblick auskosten, solange sie konnte.
Gerade als Gabrielle dachte, sie könne nichts mehr essen oder auch nur einen Schluck trinken, erklang eine Fanfare, und Perricaults Koch trug mit seinen Küchenhelfern einen gebratenen Eber herein. Die Menschen erhoben ihre Stimmen zu einem Jubelgeschrei über so viel Gastlichkeit. Die Trinksprüche und frechen Lieder ließen Gabrielle schallend auflachen.
Dann schlugen sie mit den Bechern auf die Tische und riefen im Chor: „Einen Kuss!“, johlten sie. „Einen Kuss zwischen Braut und Bräutigam!“
Gabrielle erbleichte, und ihr Lachen verstummte. Ihre Kehle schien wie zugeschnürt.
„Gewiss ist dies kein schlechter Gedanke“, verkündete Yves in scherzendem Ton, doch seine Augen zeigten Besorgnis.
„Natürlich nicht.“ Der Braut gelang ein munteres Lächeln. Sie wusste, nach all dem Wein würde es ihr schwerfallen, sich seiner Anziehungskraft zu entziehen. Würde es ihr gelingen, seine Berührung nicht zu erwidern?
Wollte sie das überhaupt? Dieser verräterische Gedanke war für Gabrielle erregender, als er hätte sein sollen. Doch nein, sie war zu schlau, um auf die eigennützigen Spiele eines Mannes hereinzufallen!
Yves de Saint-Roux indes war nicht wie ihr Vater. Widerwillig musste sie eingestehen, dass der Ritter nichts getan hatte, um ihr Misstrauen zu nähren.
Sie hatte Michel vertraut. Vielleicht konnte sie auch Yves Vertrauen schenken. Sie sah den Ritter an und fand seinen Blick unverwandt auf ihr ruhen.
„Es ist nichts Schlimmes an einem kleinen Kuss“, sagte sie und hoffte, ihre Stimme klang unbeschwerter, als sie selbst sich fühlte.
Der Chevalier warf einen skeptischen Blick zu der johlenden Menge. „Ich bezweifle, dass ein kleiner Kuss ausreichen wird.“
Gabrielle hielt den Atem an, denn noch bevor er zu Ende gesprochen hatte, erkannte sie, dass er recht hatte. Die sehnsuchtsvolle Wärme, die sie immer in seiner Gegenwart spürte, ließ das Verlangen nach einem innigen, endlosen Kuss von diesem Mann in ihr wachsen.
Würde es ihr gelingen, ihre Reaktion, von der sie wusste, dass sie unvermeidlich war, zu verbergen?
Noch ehe sie irgendeinen Einspruch erheben konnte, beugte Yves sich näher. Sein leuchtender Blick war so bezwingend, dass ihre Angst schwand.
„Ich muss Euch etwas sagen, Madame, da ich jetzt die Gelegenheit dazu habe“, vertraute er ihr mit gesenkter Stimme an. „Ich hatte niemals zuvor ein Zuhause auf dieser Welt – während es scheint, als hättet Ihr die Gabe, überall ein Zuhause zu schaffen, wo immer Ihr auch seid. Vielleicht versteht Ihr nicht, welche Bedeutung dies für mich hat.“
Er schluckte und wandte seinen Blick ab, als ob er keine Worte mehr finden konnte. Er zog die Augenbrauen zusammen, und es überraschte Gabrielle, den kühnen Ritter so durcheinander zu sehen.
Sie erinnerte sich an die Nacht im Wald, als er sich ihr schon einmal anvertraute. Augenscheinlich kamen ihm solche Geständnisse nicht leicht über die Lippen, und Gabrielle fühlte sich geehrt, sie mit ihm zu teilen.
Yves sah sie erneut an, in seinen Augen konnte sie lesen, dass er es aufrichtig meinte. „Ich möchte Euch danken“, sagte er mit leiser Stimme. „Ich möchte Euch aus meinem tiefsten Herzen Dank sagen, dass Ihr mich in Eurem Zuhause willkommen heißt.“
Und Gabrielle spürte seine große Dankbarkeit, die ihr Herz erwärmte.
Ohne es zu ahnen, hatte sie diesem Mann
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