Historical Exclusiv 45
Blick senkte sich tief in ihre angstvoll aufgerissenen Augen.
„Ja“, knurrte er. „Jetzt weißt du es. Ich könnte dich hier auf der Stelle nehmen, wäre ich der Barbar, für den du mich hältst.“
Sie fasste sich und hoffte, dass ihre Stimme ihr nicht den Dienst versagte. „Kein ehrenhafter Mann wäre fähig …“
Er lachte. Ein tiefes, belustigtes Lachen, das eine heiße Flutwelle in ihr auslöste. Ihre Finger krümmten sich unter seinem Griff.
„Süße Unschuld. Ein Mann, der dich in den Armen hält, ist zu allem fähig.“ Sein Blick hielt sie gefangen. „Ein Mann, der dich in den Armen hält, muss wenigstens das tun.“ Sein Gesicht näherte sich.
„Nein …“
„Still.“ Sein Atem hauchte an ihren Lippen. „Nur ein Kuss, kleine Wildkatze. Mehr nicht.“
„Wenn Ihr versucht mich zu küssen … dann … beiße ich.“
Sie spürte sein Lächeln an ihrem Mund. „Nur zu“, raunte er, „beiß mich.“ Seine Lippen strichen zart über die ihren, hinterließen eine prickelnde Spur. Und dann lagen sie unendlich weich auf ihrem Mund.
Die Zeit blieb stehen. Ihr Verstand setzte aus. Yvaine wusste nicht mehr, womit sie ihm gedroht hatte. Ein Wirbelsturm der Verwirrung brach in ihr los. Sein Mund lag warm und weich auf ihren Lippen. Seine harte Männlichkeit drängte sich pochend an ihre Schenkel.
Sie versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, um sich zur Wehr zu setzen, zerrissen zwischen der Bedrohung, gewaltsam genommen zu werden, und der unvermuteten Süße seines Kusses. Und als sie schließlich die Lippen öffnete, um ihre Drohung wahr zu machen, die Zähne in seine Lippen zu schlagen, brachte sie es nicht über sich, ihm wehzutun.
Und dann war es vollends um sie geschehen. Seine Zunge drängte sich zwischen ihre Lippen und liebkoste ihre Zunge unendlich zart.
Prickelnde Hitze durchrieselte sie, ein Stöhnen entrang sich ihr. Im gleichen Augenblick, als ihr die Sinne zu schwinden drohten, sie zu keinem Widerstand mehr fähig war, wurde der Zauber gebrochen. Rorik löste sich von ihr, kam auf die Beine, zog sie hoch und versetzte ihr einen unsanften Stoß.
„Geht aufs Schiff!“, knurrte er.
Benommen setzte Yvaine einen Fuß vor den anderen. Verwirrung, Zorn und Entsetzen, dass sie sich ihm beinahe hingegeben hätte, tobten in ihr. Am liebsten hätte sie mit dem Fuß aufgestampft. Was für ein kläglicher Fluchtversuch. Ein völliger Fehlschlag. Und jetzt liefen ihr auch noch die Tränen übers Gesicht.
Verärgert wischte sie mit dem Handrücken über die nassen Wangen. Sie hatte noch nie geweint. Und sie würde auch jetzt nicht weinen.
Ein Schluchzen stieg in ihr auf. Bevor sie es hinunterschlucken konnte, wurde sie herumgerissen und in Roriks Arme gezogen.
„O mein Gott, es tut mir leid, ich wollte Euch nicht wehtun.“
Sie erstarrte. Hatte sie richtig gehört? Hatte der Wikinger soeben den Namen ihres Christengottes ausgesprochen? Hatte er Bedauern zum Ausdruck gebracht? Ihr Trost zugesprochen?
Die Fragen bedrängten sie. Wer war dieser Mann, der sie kaltblütig entführt hatte, dann aber an ihrem Krankenbett gewacht hatte? Der sein Verlangen nach ihr verflucht und sich zugleich geweigert hatte, sie freizulassen? Der auf ihr gelegen hatte, ohne ihr Gewalt anzutun?
Ein dringendes Bedürfnis ergriff sie, Antworten zu erfahren, so dringend, dass alle Warnungen vor Gefahr in einem verborgenen Winkel ihres Bewusstseins erstickt wurden. Die Gefahr, die sie drängte zu fliehen und zugleich lockte zu bleiben.
„Ihr habt mir nicht wehgetan“, entgegnete sie schroff und stieß ihn von sich. Zu ihrem Erstaunen ließ er von ihr ab.
„Und der Mann, der Euch überfiel, hat er Euch Schmerzen zugefügt?“, fragte er ebenso schroff.
„Nein. Er hatte einen Dolch, den er nicht benutzt hat. Auch nicht, als ich schrie.“
„Natürlich nicht, kleiner Dummkopf. Er will Euch lebend, falls sich eine zweite Gelegenheit bietet, Euch zu überfallen.“ Plötzlich stand er drohend vor ihr. „Die Ihr ihm aber nicht geben werdet, Lady!“
Yvaine blickte zu ihm auf, wollte sich nicht einschüchtern lassen. „Da wir morgen englischen Boden verlassen, hätte ein zweiter Fluchtversuch kaum einen Sinn“, sagte sie.
„Richtig, aber je besser ich Euch kenne, desto weniger Vertrauen habe ich in Eure Vernunft.“
„Vielleicht zieht Ihr daraus eine Lehre und erkundigt Euch vorher, ehe Ihr die nächste Frau verschleppt.“
Seine Mundwinkel zogen sich hoch, das konnte sie selbst im fahlen Mondschein
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