Historical Exclusiv 45
„Auch Geschichten von Eisbären könnt Ihr Euch sparen. Ich lasse mich nicht so leicht ….“
Sie hielt mitten im Satz inne, als ihr Blick auf das silberne Amulett fiel, das Rorik an einer Lederschnur um den Hals trug, die symbolische Darstellung von Thors Hammer, wie sie wusste. Was ihr Interesse jedoch bannte, war ein langer, gebogener Fangzahn, der neben dem Amulett hing.
Yvaine schluckte und beschloss, ihre Taktik zu ändern.
„Nun gut“, fuhr sie in gespielter Gelassenheit fort, obwohl Wut und Enttäuschung in ihr tobten. „Ich reise mit Euch nach Norwegen, unter der Voraussetzung, dass Ihr mich als Euren Gast vorstellt und umgehend Vorbereitungen trefft, mich nach England zurückzubringen.“
Er machte ein völlig verblüfftes Gesicht, gerade so, als habe sie sich vor seinen Augen in einen kleinen Eisbären verwandelt. „Was sollte Euch veranlassen, Norwegen zu besuchen?“
„Um Eure nordische Sagenwelt zu studieren.“
„Um unsere nordische Sagenwelt zu studieren“, wiederholte er fassungslos.
„Ich gehe davon aus, dass ein Skalde in Eurem Haus lebt. Ich will die Schriften ersetzen, die ich gesammelt habe, bevor Ceawlin sie ins Feuer geworfen hat. Bedauerlicherweise hielt er nicht viel von geistiger Bildung.“
„Sprecht Ihr Norwegisch?“ Sein Blick schärfte sich. „Ja, Orn berichtete mir, gestern, dass Ihr Euch gestern mit ihm in unserer Muttersprache unterhalten habt. Wie kommt das?“
„Vermutlich so, wie Ihr Englisch gelernt habt“, antwortete sie achselzuckend. „Durch Reisende. In Zeiten des Friedens gab es Gäste aus Norwegen bei Hofe. Darunter auch ein Barde, der einige Monate blieb. Er hat mir einige Eurer Sagas erzählt.“
„Wenn das so ist, Lady“, sagte er und seine Stimme klang plötzlich enervierend sanft, „dann wisst Ihr mehr über uns, nicht nur, dass wir morden und plündern.“
„Ihr vergesst die Entführung“, erwiderte sie spitz. „Die Tatsache, dass Ihr Barden und Skalden und sehr begabte Kunsthandwerker habt, entschuldigt Eure Mordtaten keineswegs.“
Ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ihr unvermutet das Bild von Jankins Leiche am Flussufer in den Sinn schoss. Wie konnte sie ihn vergessen haben? Er war so unschuldig, so völlig ohne Arg gewesen. Er hätte keinen Widerstand geleistet, hätte nichts begriffen. Sie hatte sich noch nicht einmal die Zeit genommen, seinen sinnlosen Tod zu betrauern.
„Was ist, kleine Wildkatze?“
Sie fuhr herum, wütend über seine sorglose Frage und das Kosewort, das ihm nichts bedeutete. „Habt Ihr einen jungen Mann am Fluss in Selsey getötet?“
„Ich habe nur Euren Ehemann getötet, aber …“
„Ihr habt bei anderen Plünderfahrten getötet“, führte sie den Satz für ihn zu Ende, während ihr die Tränen in die Augen stiegen. „Unschuldige Menschen, die …“
Rorik bemerkte ihr heftiges Blinzeln, bevor sie das Gesicht abwandte. Was sollte er darauf antworten? Die Wahrheit durfte er ihr nicht sagen, die auch ihren Vetter betraf. Sie würde glauben, er habe sie als Köder entführt. Vielleicht stimmt das ja auch, überlegte er. Nachdem er erfahren hatte, wer sie war, hatte er wohl mit diesem Gedanken gespielt, der möglicherweise weiterhin in seinem Hinterkopf lauerte. Aber er wusste auch, dass er von einem unbezwingbaren Verlangen getrieben wurde, beinahe so etwas wie Sehnsucht. Als sei in ihm eine Leere, die nur sie ausfüllen konnte.
Wie absurd! Er dachte bereits wie ein Skalde, verfasste eine rührselige Geschichte, in der ein Held sich vor Sehnsucht nach einer unerreichbaren Schönheit verzehrte. Er wusste, was ihn so mächtig zu ihr hinzog. Die Erinnerung an ihr weiches Fleisch in seiner Hand, als sie letzte Nacht unter ihm gelegen hatte. Ihre süße Unschuld, die ihn so tief berührt hatte, als er sie küsste. Er wollte diese Unschuld in sich aufnehmen. Nur aus Sorge um ihren verletzten Rücken hatte er sich von ihr losgerissen, als sie geschrien hatte. Und das Blut gefror ihm in den Adern, wenn er daran dachte, was der grobe Kerl ihr hätte antun können.
Und plötzlich schoss ihm die Frage durch den Sinn, ob er es fertig bringen würde, Yvaine alleine auf Einervik zurückzulassen, wenn er das nächste Mal auf Plünderfahrt ging. Die Antwort kam umgehend … beunruhigend, aber ohne Zögern.
„In diesem Punkt könnt Ihr beruhigt sein“, sagte er entschieden. „Dies ist meine letzte Plünderfahrt.“
Sie sah ihn beinahe erschrocken an. „Was?“
„Ihr habt richtig gehört, es
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