Historical Exclusiv 45
einem flauen Gefühl in der Magengrube erhob Yvaine sich und begab sich zur Feuerstelle. Auch Katja war ans Feuer getreten, legte die Fingerkuppen ihrer rechten Hand an Yvaines Stirn und schloss die Augen.
„Sprich nicht“, befahl sie.
Schweigen senkte sich über die Halle. Diener und Sklaven verfolgten die Szene in gebannter Aufmerksamkeit. Nach einer langen Weile wich Yvaines Spannung. Das ist nur Mummenschanz, dachte sie. Katja stimmte keine leiernden Gesänge an, hantierte nicht mit Räucherwaren, mischte keine Tränke. Die Hexe schien sich nur in Trance zu versenken.
Und plötzlich schlug sie die Augen auf. Ihr leerer Blick heftete sich auf Yvaine, dann kam Leben in ihre Augen, und sie ließ die Hand sinken.
„Du glaubst mir nicht“, sagte sie trocken. „Doch das tut nichts zur Sache. Wenn die Zeit reif ist, wirst du an meine Worte denken und stark sein. Hör mir gut zu, goldenes Kind. Ich konnte nicht alles sehen. Ich sehe eine Reise und zwei Schiffe. Ein Schiff flieht und wird von einem zweiten verfolgt. Und davor Gefahr. Eine Gefahr, die bereits bestand vor deiner Zeit. Und noch etwas: Bleib standhaft. Du bist von Tod umgeben, aber er betrifft nicht dich.“
„Es reicht, Katja!“ Rorik sprang auf die Füße, umrundete die Feuerstelle und zog Yvaine in die Arme. „Was in Thors Namen fällt dir ein, meine Frau mit dem Geschwätz von Gefahr und Tod zu ängstigen?“
„Vergib, Rorik“, Katja trat einen Schritt zurück. „Ich spreche nicht aus freien Stücken, aber es ist gut, dass du ihr zur Seite eilst und sie beschützt. Das wirst du immer tun, denke ich.“
„Darüber gibt es nicht viel nachzudenken“, fuhr er sie an. „Es ist meine Pflicht, meine Frau zu beschützen.“
„Keine Pflicht. Du kämpfst für die gute Sache, aber das ist unnötig. Als Paar gebt ihr euch gegenseitig Kraft.“
Roriks Augen wurden schmal. „Du redest wirres Zeug. Hoffentlich hast du bei deinem nächsten Besuch günstigere Neuigkeiten. Für heute hast du genug geschwatzt.“
„Aber, Rorik, Katja hat die Flammen noch nicht befragt.“ Gunhild, die neugierig zugehört hatte, war deutlich verärgert über das plötzliche Ende der abendlichen Unterhaltung.
Rorik warf ihr einen eisigen Blick zu. „Ein anderes Mal, Gunhild. Mein Vater, dein Ehemann, liegt im Sterben. Ich halte bei ihm Wache und lasse nicht zu, dass meine Gemahlin mit weiteren Weissagungen von Tod und Verdammnis eingeschüchtert wird.“
Gunhild errötete zornig. „Eine Nordfrau hätte keine Angst vor Katjas Weissagungen“, entgegnete sie spitz, erhob sich und begab sich in Egils Gemach.
Rorik wandte sich wieder an Katja. „Ich bedanke mich für das, was du für meinen Vater getan hast. Du bist eingeladen, die Nacht am Feuer zu verbringen, und nimm dir morgen reichlich Wegzehrung mit, wenn du uns verlässt.“
„Danke, Rorik. Es tut mir Leid, wenn …“
Sie wurde von einem gellenden Schrei aus dem Söller unterbrochen. Ingerd wankte händeringend in die Halle. „Er ist tot“, schrie sie krächzend. „Der Jarl ist tot.“
Von der Frauenbank erhob sich augenblicklich eine lang gezogene, unheimliche Totenklage.
„Oh Rorik.“ Yvaine schlang die Arme um ihn. Er nahm sie bei den Schultern und schob sie von sich. „Meinem Vater würde das Heulen und Wehklagen nicht gefallen“, sagte er. „Schick die Sklaven zu Bett und lege dich ebenfalls zur Ruhe. Wir sehen uns morgen früh.“
„Aber …“
Rorik hatte sich bereits zum Gehen gewandt. Verstört blickte Yvaine ihm nach. Aber was erwartete sie? Rorik brauchte sie nicht. Besser gesagt, er wollte etwas von ihr, was im Augenblick keinen Platz in seinem Leben hatte. Auch als Katjas unheilvolle Weissagung ihn veranlasst hatte, sie zu beschützen, hatte er nur von Pflichterfüllung gesprochen.
War das nicht genau das, wovor sie sich ängstigte? Dass sie weiterhin mit dem Stachel seiner Zurückweisung leben musste, mit diesem kalten Gefühl, eine Außenseiterin zu sein, obwohl er sie begehrte?
Zitternd wandte sie sich ab, um die Tränen, die ihr in den Augen brannten, zu verbergen und ihre Fassung wiederzuerlangen. Eine pelzige Berührung an ihrer Hand ließ sie auffahren.
„Lass ihn gehen, Kind. Gib ihm Zeit, den Tod des Vaters anzunehmen.“ Katja lächelte verständnisvoll. „Ich wünschte, ich könnte dir helfen, doch nur die Nornen kennen unser Schicksal genau. Mir ist nur gestattet, einen kleinen Teil davon zu sehen.“
„Nornen? Ach ja … die drei Weberinnen.“
„Ja. Die
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