Historical Exclusiv 45
blickte Egil zu seinem Sohn auf. „Aus diesem Grund habe ich Gunhild geheiratet. Sie brachte Wohlstand in die Familie. Gold, mit dem ich dem König Land abkaufen konnte. Ich habe es deiner Mutter versprochen.“
Rorik runzelte die Stirn. Eine schwache Erinnerung stieg in ihm hoch, wie er als kleiner Junge dem Vater Fragen nach seiner Mutter gestellt hatte, der ihn mit einer unwirschen Geste zum Schweigen gebracht hatte. Danach war er zu sehr mit den Abenteuern seines Lebens beschäftigt gewesen, um mehr als gelegentlich einen flüchtigen Gedanken an eine Frau zu verschwenden, die er nicht gekannt hatte. Und Egil hatte die Frau nie wieder erwähnt, die bei der Geburt seines Sohnes gestorben war. Bis gestern.
Rorik setzte sich wieder. „Meine Mutter?“
„Ich … habe sie gern gehabt“, murmelte Egil. „Und ich habe ihr versprochen, nie wieder auf Plünderfahrt zu gehen.“
Rorik lachte trocken. „Das kann ich gut verstehen.“
„Du hast es Yvaine versprochen, nicht wahr?“ Egil beäugte ihn plötzlich mit einer beunruhigenden Schärfe. „Meine Vergangenheit holt dich ein. Aber Yvaine ist nicht wie deine Mutter, Rorik. Sie ist stark. Sie ist eine Kämpferin. Ich habe mein Versprechen mein ganzes Leben bereut, aber … ich habe es auch nach ihrem Tod gehalten. Das war ich ihr schuldig“, fügte er so leise hinzu, dass Rorik Mühe hatte, die Worte zu verstehen.
„Es ist nicht deine Schuld, dass sie sterben musste, Vater.“
„Ein Mann bezahlt für die Fehler, die er begangen hat, Rorik. Aber als ich nicht mehr auf Plünderfahrt ging, versiegte das Geld, mit dem wir Getreide hätten kaufen können, um die langen Winter zu überstehen oder um Land zu kaufen.“
„Deshalb hast du Gunhild geheiratet“, entgegnete Rorik achselzuckend. „Sie ist tüchtig, das muss man ihr lassen.“
„Ja, sie ist tüchtig. Aber ich habe sie unterschätzt. Sie war nicht mehr jung, eigentlich über die Empfänglichkeit hinaus, das behauptete sie jedenfalls. Hüte dich vor einer entschlossenen Frau.“ Er richtete sich mühsam auf, griff plötzlich nach Roriks Arm. „Ich wollte kein Kind mit ihr, Rorik, aber sie hat mich überlistet. Vielleicht hatte auch Loki seine Hand im Spiel, und nun musst du mit Othar fertig werden.“
„Ich kann mit Othar umgehen.“
„Nein! Du verstehst nicht.“ Egils klamme Finger krallten sich in Roriks Arm. „Hör auf mich. Gib Othar keine Macht. Ich habe befohlen, mein altes Schiff wieder seetüchtig zu machen. Überlasse es dem Jungen und …“
Er stockte, aschfahl im Gesicht. Schweiß glänzte auf seiner Oberlippe. Er rang nach Luft. Rorik versuchte seinen Vater zu stützen, doch Egil sackte mit einem kehligen Laut nach vorn und verlor das Bewusstsein.
10. KAPITEL
A uf Selsey war ihr nie gestattet gewesen, die Umzäunung der Burganlage zu verlassen, und im Hof hatte es keinen Baum, kein Grün gegeben, woran ihr Blick sich erfreut hätte, nur Pflastersteine und lehmiger Boden.
Nun spazierte sie über eine blühende Sommerwiese, die klare Bergluft war von Blumenduft erfüllt, Bienen summten, die Sonne strahlte. In diesem fremden Land konnte sie sich frei bewegen.
Die Ironie dieses Gedankens ließ Yvaine schmunzeln. Am Ufer des Fjords angekommen, blickte sie zu den Gebäuden zurück. Das Langhaus, die Molkerei, eine hohe Scheune, in deren Dachboden die Schlafplätze der Sklaven untergebracht waren, daneben Holzgestelle, an deren Stangen Fische zum Trocknen hingen. Etwas abseits befand sich die Werkstatt des Schmieds, an deren offenem Tor ein zottiges Pferd geduldig darauf wartete, beschlagen zu werden. An der Esse stand ein wuchtiger Schmied und ließ den Hammer mit kraftvollen Schlägen auf das glühende Eisen niedersausen. Die Hammerschläge klangen rhythmisch zu Yvaine herunter, und der Schweif des Pferdes bewegte sich träge im Takt dazu.
Hinter der kleinen Ansiedlung stieg ein bewaldeter Hügel sanft an, ein dunkler Gürtel aus hohen Fichten, der Schutz vor Wind und Wetter bot. In den langen Wintermonaten war dieser Ort gewiss kalt und dunkel, doch im Haus wäre es warm und behaglich. Hier könnte sie glücklich sein – wenn Rorik sie lieben würde.
Mit einem kleinen Seufzer schlenderte sie am Ufer entlang. In einiger Entfernung waren Zimmerleute mit Reparaturarbeiten an einem Langboot zugange, das vermutlich Egil gehörte. Auf der anderen Seite des Steges schaukelte der Seedrache sanft an seiner Vertäuung und weckte Erinnerungen in Yvaine. Sie sah Rorik am Steuerruder
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