HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
nicht vergessen. Nein, eine Begegnung zwischen den beiden kam überhaupt nicht infrage.
Verstohlen blickte Mary zum Gatten und versuchte, sein jetziges Äußeres mit dem jungen Mann in Einklang zu bringen, den sie in einer längst vergangenen Zeit geliebt hatte. Sie entsann sich des Hochzeitstages und des benommen zwischen die Kirchenbänke gefallenen Sperlings, den Cameron aufgehoben, in der geschlossenen Hand ins Freie gebracht und fliegen gelassen hatte, und fragte sich, wo dieser mitfühlende Wesenszug geblieben sein mochte. Es war nicht das Aussehen des Gemahls, das sie störte, sondern der Mensch hinter der entstellten Fassade, der sie beunruhigte. Er schien ein Gift in sich zu tragen, als wären die Klauen des Löwen bis in sein Innerstes vorgedrungen und hätten ihm den Keim des Bösen in die Seele gegraben.
Er hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt und blickte ins Feuer, während er Mr. Bowman lauschte, der eine Geschichte aus seiner Studienzeit berichtete. Vor dem Essen hatte Cameron sich Wasser ins Gesicht gespritzt und das Haar zurückgekämmt, jedoch nicht rasiert und auch die von der Arbeit schmutzigen Khakihosen nicht gewechselt. Mary konnte ihn nicht anschauen, ohne ein inneres Frösteln zu empfinden. Hätte sie ihn nicht gekannt und ihn in einer dunklen Straße allein angetroffen, wäre sie gewiss vor Angst gestorben.
Mr. Bowman hatte die sich um ein Ruderteam der Universität von Oxford drehende humorige Anekdote zu Ende erzählt, und Mary lachte höflich, obwohl sie zu abgelenkt gewesen war, um richtig zuzuhören.
Cameron leerte den Becher und stellte ihn hart auf den Tisch.
Das Geschepper weckte Mr. Cummings. Er zwinkerte und gähnte, trank sein Bier aus und wischte sich rülpsend den Mund am Hemdärmel ab. „Was halten Sie davon, wenn wir schlafen gehen? Die verdammte Sonne wird uns morgen wie immer in aller Frühe auf den Pelz brennen.“
In stummem Einverständnis nahm jeder die Bemerkung zum Anlass, den Abend zu beenden. Mary erhob sich und machte sich darauf gefasst, den Rest der Nacht ertragen zu müssen.
Der Chefingenieur und Mr. Cummings standen gleichzeitig auf, und schließlich mühte sich auch Cameron vom Faltstuhl hoch.
„Es war mir wirklich ein Vergnügen, Mrs. MacKenna.“ Anthony nickte, als sie sich bedankte. „Lassen Sie es mich wissen, wenn ich noch irgendetwas für Sie tun kann.“
„Oh, Sie haben schon genug getan, alter Junge“, murmelte Cameron und verhehlte ein Gähnen, das Marys Ansicht nach nur vorgetäuscht war. „Wir kommen gut zurecht.“
„Gute Nacht, Madam, und schlafen Sie gut.“ Harold Cummings sah MacKenna an und hob vielsagend eine blonde Braue.
Mary spürte, dass sie rot wurde. Sie konnte sich denken, dass alle Männer im Camp sich ausmalen würden, was in dieser Nacht in Mr. Bowmans Zelt geschah. Sollten sie ruhig! Sie würden sich täuschen!
„Kommst du, Mary, Liebling?“ Spöttisch lächelnd, reichte Cameron ihr den Arm.
Nicht willens, noch mehr Gerede zu verursachen, legte sie ihm die Hand auf den Arm und ließ sich, hoch erhobenen Kopfes und sich der aufdringlichen, sie aus den Schatten beobachtenden Blicke bewusst, durch das Gewirr der Zeltgassen zu Mr. Bowmans Zelt zurückgeleiten. Die Neugier der Leute konnte sie nicht aus der Fassung bringen. Am nächsten Morgen würde alles vorbei und sie nach vollbrachter Mission mit den unterschriebenen Scheidungspapieren auf dem Weg nach Mombasa sein.
Das Zelt war dunkel. Cameron schlug die Plane zurück und wartete.
Mary zögerte, straffte dann die Schultern und betrat das Zelt. „Oh!“, schrie sie schmerzvoll auf, nachdem sie mit dem Knie gegen etwas Hartes gestoßen war. Sie hatte die immer noch gefüllte Badewanne vergessen. Hinkend wankte sie zur Pritsche und setzte sich.
„Was ist passiert?“
„Ach, nichts Schlimmes. Ich habe mich an der verdammten Badewanne gestoßen, die so viel Platz wegnimmt. Könntest du sie hinausschaffen und ausleeren?“
Cameron lachte schallend auf. „Hinausschaffen und ausleeren? All das kostbare Wasser? Mary Margaret, Liebling, ich habe nicht mehr richtig gebadet, seit ich zum letzten Mal in Mombasa war.“
„Willst du jetzt etwa ein Bad nehmen?“
„Ja. Natürlich im Dunklen. Ich möchte doch dein Gefühl von Zucht und Anstand nicht beleidigen.“
„Ach, hör auf, Cameron!“ Mary umklammerte das schmerzende Knie und bezwang den Drang, etwas in die Richtung zu schleudern, aus der die Stimme des Gatten gekommen war.
„Na also!
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