HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
vorfand, und putzte sich die Zähne. Dann kleidete sie sich an, kämmte sich und steckte das Haar zu einem lose geschlungenen Chignon auf. Sobald sie damit fertig war, setzte sie eine strohgeflochtene Fedora auf und stolperte ins Freie.
Die Sonne stand als blendend weiße Scheibe am flammend blauen Horizont, doch die Luft war noch kühl. Im niedergetretenen Gras hingen Tautropfen. Mary vernahm durch das von der Baustelle herüberschallende Gehämmer das Zwitschern unzähliger Singvögel und schaute sich suchend um. Das Lager wirkte verlassen. Nur einige Küchenjungen räumten das Frühstücksgeschirr fort. Erleichtert erblickte sie den auf dem Gleis stehenden Zug. Alles war in Ordnung. Niemand befand sich dort oder auf der Lokomotive, und das bedeutete wohl, dass er erst später abfahren würde. Folglich hatte Mary genügend Zeit, den Gatten zu holen und ihn zur Unterschrift der Dokumente zu veranlassen. Danach musste sie nur noch ihr Bündel schnüren und der Abfahrt des Zuges harren.
Dem Gleis folgend, stapfte sie über die lang gezogene Anhöhe. Weit war die Baustelle nicht entfernt, doch der unebene Untergrund erschwerte ihr das Gehen mehr als erwartet. Auf der Kuppe angekommen, schmerzten ihr die Füße in den noch nicht eingelaufenen Stiefeletten, die eine Freundin ihr geschenkt hatte. In der dünnen Luft keuchend, ließ sie sich auf einem Baumstrunk nieder, lockerte die Schnürung der Schuhe und schaute dabei zum Ende des Schienenstranges hinüber. Schwärme von Arbeitern waren damit beschäftigt, die Brücke über den kaum Wasser führenden Galana zu errichten. In der Nähe waren auch die Langhölzer aufgestapelt, hinter denen Mary sich auf dem Plattformwagen versteckt hatte. Einige schwebten, mit Seilen festgezurrt, am Lastkran, der sie in die richtige Lage für die Brückenkonstruktion brachte. Unvermittelt empfand Mary Stolz, dass der Gatte diese Überführung baute.
Bei dem Gedanken an ihn und die vergangene Nacht hielt sie unwillkürlich beim Aufschnüren der Schuhbänder inne. Bis jetzt hatte sie die Erinnerungen an das Geschehene verdrängt gehabt. Doch nun stieg ihr die Schamröte ins Gesicht, als sie an Camerons verzehrende Küsse und die enthemmte Art dachte, mit der sie seine Liebkosungen erwidert hatte. Vor allem aber beschämte es sie, dass er sie wie ein Stück Ballast von sich geschleudert und auf die Pritsche geworfen hatte. In der vergangenen Nacht hatte sie sich wirklich töricht benommen. Sie legte die Hände auf die brennenden Wangen. Oh, ja! Der Gatte hatte sie ganz bewusst so behandelt. Er hatte sie demütigen und ihr zeigen wollen, wie machtlos sie war. Und sie hatte ihn gewähren lassen und ihm sogar in die Hände gespielt.
Sie erhob sich und schwor sich, es dem Gemahl oder irgendeinem anderen Mann nie wieder zu ermöglichen, sie überrumpeln zu können, um nicht noch einmal die gleiche Schmach erleben zu müssen. Die schmerzenden Füße trugen, als sie gemächlich zur Baustelle weiterging, noch zu ihrem Zorn bei. Aber sie musste den Gatten ja nur noch einmal ertragen. Nach dieser letzten Begegnung war sie nicht gezwungen, ihn je wiederzusehen. Beim Näherkommen hielt sie angestrengt Ausschau nach ihm. Sie erblickte ihn nicht, war jedoch sicher, dass er sich auf der Baustelle aufhielt. Sie nahm sich vor, keinerlei Emotionen zu zeigen und Herrin der Situation zu bleiben, sobald sie bei ihm war.
Eine in Khakisachen gekleidete Gestalt kam ihr entgegen. Sie erkannte Mr. Bowman, und ihr sank das Herz. Er winkte ihr zu und bedeutete ihr zu bleiben, wo sie war.
Er erreichte sie und tauschte nach gegenseitiger Begrüßung einige Höflichkeiten mit ihr.
Die Minuten verstrichen, und immer wieder richtete Mary suchend die Augen auf die Arbeiter, ohne jedoch den Gatten entdecken zu können.
Schließlich bemerkte Anthony, dass sie abgelenkt war, und sagte: „Entschuldigen Sie, Mrs. MacKenna. Ich merke, dass Sie Ihren Mann suchen, aber er ist nicht hier.“
„Er ist nicht hier?“, wiederholte sie enttäuscht.
„Nun, er war vor einer Weile da, wurde jedoch fortgerufen. Juma, einer unserer Proviantjäger, ist zurückgekommen und hat erzählt, er habe auf der Ebene einen Sterbenden gefunden.“
Marys Niedergeschlagenheit wurde stärker. „Oh, er kommt doch gewiss zurück, ehe der Zug abfährt, nicht wahr? Ich möchte nicht nach Mombasa reisen, ohne mich von meinem Mann verabschiedet zu haben.“
„Das ist verständlich.“ Anthony lächelte höflich. „Bestimmt wird er alles
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