HISTORICAL EXCLUSIV Band 14
versuchen, um rechtzeitig wieder hier zu sein.“
Mary war sich nicht sicher, ob Cameron sich wirklich bemühen würde. Nach der vergangenen Nacht war es sehr fraglich, ob er sie überhaupt wiedersehen und hinsichtlich der Unterzeichnung der Scheidungsdokumente entgegenkommend sein wollte. „Oh, können wir nicht versuchen, ihn zu finden?“ Bittend faltete Mary die Hände und gab sich überzeugend den Anschein der Hilflosigkeit.
Anthony seufzte. „Das ist ausgeschlossen, meine liebe Mrs. MacKenna! Ich kann die Baustelle nicht verlassen, ehe die Brückenhölzer befestigt sind. Und jemand anderen, dem ich Sie anvertrauen könnte, gibt es nicht.“ Mit einer Mischung aus Mitgefühl und Bedauern sah Anthony sie an. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag!“, sagte er eifrig. „Wandern Sie mit mir auf den Hügel. Von der Kuppe können Sie die Straße nach Machakos sehen.“
„Kommt mein Mann von dort zurück?“ Die schmerzenden Füße vergessend, schloss Mary sich Mr. Bowman an.
Bald war die Anhöhe erklommen Anthony wies nach Norden. „Da! Sehen Sie? Eigentlich ist es keine Straße, nur ein alter Karawanenweg. Nachdem die Eisenbahn jetzt hier entlangführt, wird er jedoch bald von Fahrzeugen benutzt werden. Stellen Sie sich all die Wagen vor, Madam, und die Siedler! Die Zivilisation hält Einzug, und wir Briten haben es ermöglicht.“
„Kommt mein Mann von dort zurück?“, wiederholte Mary beharrlich.
„Ja. Warten Sie im Schatten dieser Schirmakazie. Dann können Sie Ihren Gatten nicht verpassen.“
„Wann fährt der Zug ab?“
„Ach, machen Sie sich keine Sorgen. Sie haben noch genügend Zeit.“ Anthony schlenderte ein Stück den Abhang hinunter, blieb stehen und sagte: „Hier sind Sie gut aufgehoben, Madam. Sollten Sie etwas brauchen, rufen Sie mich.“ Er drehte sich um und kehrte beschwingt zur Baustelle zurück.
Mary ließ sich unter dem Baum nieder und starrte düster auf den kaum erkennbaren, sich gen Norden durch die gelbe Landschaft schlängelnden Pfad. Sie wusste, was der Gatte vorhatte. Er hatte die Gelegenheit genutzt, sich aus dem Staub zu machen, ohne die Unterlagen unterschrieben zu haben. Wahrscheinlich lachte er sich jetzt bei der Vorstellung, wie ratlos Mary sein musste, ins Fäustchen. Natürlich hatte er das Weite nicht gesucht, weil er sich nicht von ihr trennen mochte. Nein, das war aus purer, abscheulicher Niedertracht geschehen.
Wütend sprang Mary auf und beschloss, ihm zu folgen. Doch dann sagte sie sich, dass sie ihn nie einholen würde, schon gar nicht in den engen Stiefeletten. Wieder war sie seinem guten Willen ausgeliefert und hatte nur die Möglichkeit zu warten, sich zu sorgen und zu hoffen. Die Sonne war höhergestiegen und brannte heißer vom Himmel. Mary wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht, und das schrille Summen der Insekten im Gras verstärkte noch ihre schlechte Laune. Die Hand über die Augen haltend, beobachtete sie zwei in der Ferne über einer bestimmten Stelle schwebenden Aasgeier und überlegte, was sie tun solle, falls der Gemahl nicht vor der Abfahrt des Zuges zurückkam. Sie schwankte zwischen der Frage, ob sie bleiben und die arme kleine Jennifer in Mombasa warten lassen, oder ob sie den Zweck des Besuches im Lager vergessen und abreisen solle. Doch das eine wie das andere war keine Lösung. Mary entschied sich, koste es, was es wolle, mit Cameron zu reden und dann mit den unterschriebenen Scheidungspapieren den Zug nach Mombasa zu nehmen.
Entschlossen stapfte sie den buschbewachsenen Hügel hinunter auf die sogenannte Straße zu. Bei jedem Tritt spürte sie die in Mitleidenschaft gezogenen Füße, ignorierte jedoch tapfer den Schmerz. Er war nicht von Bedeutung, solange die Zukunft ihrer Tochter auf dem Spiel stand. Sie war indes erst ein Stück vorangekommen, als ein seltsames, hinter einem Gebüsch hervordringendes Schnauben sie entsetzt zur Seite schwenken ließ. Sie knickte um, verlor den Halt und stürzte. Panikergriffen hörte sie die Äste der Sträucher knacken, bemühte sich hastig, wieder auf die Beine zu kommen, und verfing sich mit einem Fuß im Unterrock. Es gelang ihr nicht, sich vom Stoff zu befreien. Vor Angst war sie nicht fähig, um Hilfe zu schreien. Sie ahnte, dass sie sterben würde, mitten im elenden afrikanischen Busch, von einer wilden Bestie zu Tode getrampelt.
Ihre Erleichterung war grenzenlos, als sie plötzlich ein kräftiges Tier, Mr. Bowmans Muli, mit schleifenden Zügeln, gesattelt, ein Gewehr in der
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