HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
antraf, war die Wirtsfrau, die Kathryn recht unfreundlich grüßte und sich von ihrem Äußeren wenig beeindruckt zeigte.
Aber das war egal. Alles, was Kathryn wollte, war ein wenig Haferbrei für sich und Bridget; außerdem musste sie Wolf finden und mit ihm sprechen, bevor er die Reiseroute für diesen Tag festlegte.
„Sir Gerhart ist im Stall“, verkündete die Frau kurz angebunden. Ihr Verhalten machte deutlich, dass sie, wenn es ihr zugestanden hätte, dem kräftigen Ritter geraten hätte, das zerlumpte Mädchen irgendwo zurückzulassen.
Kathryn schenkte dieser Kränkung keine Beachtung. Sie wollte nur so schnell wie möglich mit Wolf reden.
Wolf zog Janus’ Sattelgurt fest und ließ den Steigbügel wieder an der Flanke seines Pferdes hinunterfallen. Als er aufschaute, sah er Lady Kathryn auf sich zukommen. Wenigstens vermutete er, dass es Kathryn sein musste, obwohl er sich nicht sicher sein konnte, da ihr Gesicht jetzt sauber war.
Abgesehen von dem blauen Auge und ihrer verschorften Unterlippe, hatte sie ein erstaunliches Gesicht. Kein niedliches oder unbedingt schönes Gesicht, aber ein ausdrucksstarkes und eigenwilliges. Ihre von dichten schwarzen Wimpern umsäumten, unerschrocken blickenden Augen, das eine davon mehr als nur ein bisschen blutunterlaufen, trafen seinen Blick mit einer Direktheit, die für eine Frau sehr ungewöhnlich war. Helle, schöne Brauen wölbten sich anmutig über den Augen. Sie hatte hohe Wangenknochen, eine wohlgeformte Nase und volle Lippen. Ihr Kinn hatte ein kleines Grübchen. Als er bemerkte, dass er sie unverhohlen anstarrte, wandte er sich wieder Janus zu und atmete langsam aus. Wo, zur Hölle, war das verwahrloste kleine Balg geblieben, das er schlafend im Wirtshaus zurückgelassen hatte?
Warum konnte sie nicht das Kind sein, das er erwartet hatte, oder mehr wie die Damen bei Hof? Mit beiden Möglichkeiten hätte er besser umgehen können als mit diesem sturen, beunruhigenden Mädchen aus Somerton. Sie war viel zu mutwillig und unberechenbar. Er war sich niemals sicher, was er von ihr zu erwarten hatte. Und jetzt, da sie ihr Gesicht gereinigt hatte …
„Gerhart, wir können heute nicht weiterreiten“, sagte sie in gebieterischem Tonfall.
„Ach ja?“ Er war beherrscht, da er sich nicht von ihr aus der Ruhe bringen lassen wollte. Bei Gott, er wusste, welche Wirkung jede einzelne ihrer Äußerungen auf ihn haben konnte. Er hatte sich vorgenommen, gegen sie gefeit zu sein auf dem Weg nach Windermere Castle. Er würde sich weder von ihr ärgern lassen, noch auf irgendwelche weiblichen Vorzüge hereinfallen, die sie besitzen könnte – so gering diese auch sein mochten.
„Bridget ist krank. Sie kann nicht reisen.“
„Wir brechen in einer halben Stunde auf.“ Seine Stimme war fest. „Einige meiner Männer sind schon vorausgeritten. Falls Ihr noch nicht gefrühstückt habt, schlage ich vor, dies jetzt zu tun, da Ihr keine andere Gelegenheit mehr haben werdet.“
Der Tölpel hatte sie offenbar nicht verstanden! „Aber Bridget geht es nicht gut! Sie kann bei diesem Regen nicht auf die Reise gehen!“
„Sie kann und sie wird“, gab Wolf ruhig und beherrscht zurück. „Sie wird wieder mit Nicholas reiten, wie sie es gestern getan hat. Die andere Möglichkeit ist, sie hier ‚Zur krummen Axt‘ zurückzulassen.“
„Ihr versteht mich nicht! Ich bin für sie verantwortlich. Ich …“
„Ihr für sie? Und ich dachte, es wäre genau andersherum. Ich hatte geglaubt, Eure Kinderfrau wäre mitgekommen, um für Euch zu sorgen.“
„Natürlich nicht! In den letzten Jahren hat Bridget nichts anderes für mich tun können, als meine Sachen zu stopfen und …“
Wolfs finsterer Blick ließ sie verstummen.
„… nun ja, Bridget wird eben alt, und da kann sie natürlich nicht mehr so hart arbeiten wie früher. Sie ist schon bei mir, seitdem ich ein Säugling war – und als entfernte Verwandte meiner Mu…“
Wolfram hob die Hand, um ihren Redefluss zu unterbrechen. „Genug!“
„… meiner Mutter, werde ich es nicht erlauben, dass sie …“
„Es reicht jetzt!“
„… in ihrem Zust…“
„Nach Auskunft des Wirts ist Windermere nur einen Zweistundenritt von hier entfernt.“ Sein Ärger war deutlich in seiner Stimme zu hören. „Ich werde mir die Frau selbst ansehen und dann entscheiden, ob sie reisen kann.“ Er ging entschlossen an ihr vorbei, zögerte dann aber und drehte sich zu ihr um. Mit erhobenem Zeigefinger, der seine Aussage unterstreichen
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