HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
gestützt von seinem Vater, als beide dem Sarg ihres mittleren Sohnes zur Familiengruft folgten. Es sollte das letzte Mal gewesen sein, dass er seine Mutter sah.
Schmerzlich erinnerte er sich auch an die Nachricht aus Bremen im Herbst 1401. Wolfs Mutter Margrethe hatte ihren Eltern nach Martins Tod einen ausgedehnten Besuch abgestattet. Der Bote setzte Lord Bartholomew darüber in Kenntnis, dass seine Frau krank in Bremen lag, möglicherweise sogar auf den Tod wartete, und dass der Earl sofort mit seinen zwei ihm verbliebenen Söhnen zu ihr kommen solle.
Auf dem Weg dorthin holten Wegelagerer sie ein, griffen sie gnadenlos an und metzelten alle blutrünstig nieder, bis keiner mehr am Leben schien.
Die Verletzungen, die Wolf erlitt, waren lebensbedrohlich gewesen, und er verdankte sein Leben nur der heroischen Tat seines Bruders – der bei dem Versuch, ihn zu schützen, selbst umkam – und dem raschen Handeln eines Knappen, der kaum älter als er selber war.
Dieser Knappe war der junge Hugh Dryden gewesen, der Wolf hinreichend verband und ihn in eine nahe Abtei brachte. Dort konnten die Mönche alle seine Wunden heilen, bis auf diejenige, welche diese schreckliche Narbe quer über seiner Stirn und seinem Auge hinterlassen hatte. Wochen später wurden die beiden Jungen nach Bremen gebracht und mit Margrethe und deren Eltern vereint. Doch Margrethe Gerhart Colston, die ohnehin schon durch Martins Tod an den Rand der Verzweiflung getrieben war, erholte sich niemals mehr von diesem Schicksalsschlag. Tag für Tag saß sie am Fenster und starrte blicklos in den Hof hinaus, dem Tod näher als dem Leben. Die Tatsache, dass ihr noch ein Sohn geblieben war, war ihr kein Trost.
Mit dem Tod seines Vaters und seiner älteren Brüder war nun Wolfram der neue Earl of Windermere, aber unfähig, diesen Titel für sich zu beanspruchen. Seine gesamte Familie war in England in Verruf gebracht worden; und nun musste Wolf die Beweise für Philips Verrat finden und die Familienehre wiederherstellen. Für Wolf war es unumgänglich gewesen, den Namen seines Großvaters anzunehmen, als er nach England zurückkehrte. Nur Nicholas Becker und der Diener Hugh Dryden kannten seine wahre Herkunft. Wolf hatte sich vorgenommen, dieses Geheimnis zu wahren, bis er die nötigen Beweise in Händen hielt. Erst dann wollte er sich Philip zu erkennen geben und selbst dafür sorgen, dass der Gerechtigkeit Genüge getan würde.
Wolf wusste, dass Philip die verräterische Natur seines Vaters Clarence geerbt hatte; es gab aber zusätzlich noch einen widernatürlichen, brutalen Zug im Wesen seines Cousins, der dem Onkel gefehlt hatte. Wolf fühlte, wie ihm die Galle hochkam beim Gedanken an Philips Grausamkeiten – die er immer an jemandem verübte, der kleiner und schwächer war als er, und stets im Geheimen. Nur die Kinder wussten davon und einige der jüngeren Dienstmädchen – und niemand traute sich, es jemals einem Erwachsenen zu erzählen. Jawohl, Wolf wusste um Philips Neigung, anderen Schmerzen zuzufügen. Er hatte noch immer die kaum mehr zu erkennenden Male von einigen qualvollen Begegnungen mit Philip, bevor er gelernt hatte, dem älteren Jungen aus dem Weg zu gehen.
Es wurden Tische aufgestellt, und Diener brachten unter der Leitung von Mistress Hanchaw Getränke in die Große Halle. Alle von Wolframs Männern hatten sich dort versammelt, ebenso Philips Gefolgsleute und viele ansässige Edelleute mit ihren Damen. Wolf erinnerte sich, vom kürzlichen Dahinscheiden von Philips junger Frau gehört zu haben. Dass Philip so kurz nach dem Tod der jungen Clarisse schon wieder ein solches Fest gab, erschien ihm als eine unglaubliche Geschmacklosigkeit.
Doch Wolf kannte Philips wahre Natur. Dieser Mann und sein Vater waren verantwortlich gewesen für das Gemetzel, das seine Familie ausgelöscht hatte. Philip war zu jeder Gräueltat fähig. Wolf musste sich vor seiner aufwallenden Wut hüten, die drohte, seine äußerlich ruhig wirkende Fassade zum Einsturz zu bringen.
„Es ist doch recht bemerkenswert – und durchaus ungewöhnlich –, dass König Heinrich Gesandte quer durch das ganze Land schickt, nicht wahr?“, fragte Philip.
„Wollt Ihr damit etwa sagen, dass Ihr noch nie zuvor offiziellen Besuch bekommen habt?“, erwiderte Nicholas an Wolfs Stelle. Er spürte, dass sein Freund innerlich vor Wut schäumte, und wollte ihm die Gelegenheit geben, Herr seiner Gefühle zu werden.
Philip betrachtete die beiden vom König gesandten großen
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