HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
Männer misstrauisch. Etwas in den silbergrauen Augen des einen, der sich Gerhart nannte, schien ihm vage bekannt vorzukommen. „Hätte ich denn besucht werden sollen?“
„Aber selbstverständlich“, antwortete Nicholas. „Es ist eine besondere Gunst, die unser Herrscher gewährt. Seine Majestät hat sich lange Zeit außerhalb des Landes aufgehalten. Wie kann er wissen, wie es Euch ergehen mag, ohne dass …“
In diesem Augenblick wurde Lady Kathryn von einem schlaksigen Diener in die Halle geleitet. Nicholas führte zu Ende, was auch immer er gerade zu Lord Philip sagte, doch Wolf hörte ihn nicht mehr. Er war überwältigt von Kathryns unerwarteter Verwandlung. Sie hatte sich diesmal in Frauengewänder gekleidet, während ihr Kopf und ihr Haar immer noch vollständig bedeckt waren von einer leinenen Rise mit grünem Besatz. Ein tiefgrünes Samtkleid verhüllte ihre weiblichen Formen vom Hals bis zu den Füßen. Das Kleid war in seiner Schlichtheit doch elegant, und sogar Wolf konnte die ausgesprochen kunstfertige Stickarbeit um die weiten Ärmel erkennen.
Das Gewand an sich ließ wenig von Kathryns Figur erkennen, doch die Anmut ihrer Bewegungen war unverkennbar. Ihre Hände und Handgelenke waren schmal und zart geformt. Die Verletzungen in ihrem Gesicht heilten ab. Und er empfand ein eigentümliches Vergnügen daran, dass ihr Blick aus diesen smaragdgrünen Augen nichts von seiner Direktheit eingebüßt hatte, obwohl sie sich jetzt als Gast des Earl of Windermere in der Großen Halle seiner Festung befand.
In diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass sie die Haltung einer Duchess besaß.
4. KAPITEL
Wolf erlangte seine Fähigkeit zu sprechen zurück, als er gezwungen war, Kathryn dem Earl of Windermere vorzustellen. Sie begrüßte Philip, indem sie mit nahezu königlicher Würde den Kopf neigte. Dann nahm sie Philips Arm, als er ihn ihr anbot, und begleitete ihn zu der erhöhten Tafel; Wolfram und Nicholas schlossen sich ihnen an. Mehrere Gäste standen herum und warteten auf den Earl, um ihre Plätze einzunehmen und mit dem Mahl zu beginnen.
„Ihr ziert meine Halle mit Eurer bezaubernden Anmut, Mylady“, sagte Philip, als er sie zu seiner Rechten sitzen ließ. Wolf und sein deutscher Cousin Nicholas nahmen in einiger Entfernung von Philip und Kathryn Platz, konnten aber fast alles von ihrer Unterhaltung mit anhören. Wolf empfand Lady Kathryn als sehr schmal und zerbrechlich mit ihrem blauen Auge und der verheilenden Wunde an ihrer Lippe. Unwillkürlich zuckte er zusammen bei dem Gedanken, dass sie genau die Art von Opfer war, an denen Philip Geschmack fand.
„Es ist schon viele Monate her, dass Windermere mit dem Liebreiz einer so schönen Dame beehrt wurde“, hörte Wolf Philip zu Kathryn sagen.
„Unser Beileid zum Verlust Eurer Lady“, warf einer der Barone ein.
„O nein!“ Kathryns Mitleid für den Earl spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. „Eure Frau ist kürzlich … verschieden?“
„Ja, die arme Clarisse starb letzten November“, antwortete Philip.
Der Name „Clarisse“ durchfuhr sie wie ein Pfeil. Was hatte Maggie noch gleich über sie gesagt?
Wolf konnte bei seinem Cousin nicht das geringste Anzeichen von Gefühl erkennen, als dieser über seine tote Ehefrau sprach. Philip schien vielmehr von Lady Kathryn äußerst eingenommen zu sein, worüber Wolf nicht sonderlich erfreut war. Jeder andere Mann hätte sich wenigstens den äußeren Anschein von Trauer um seine erst sechs Monate zuvor verstorbene junge Frau gegeben. Stattdessen hing Philip an Kathryns Lippen und hatte noch nicht einmal ihre Hand losgelassen.
„Wie furchtbar für Euch, Mylord“, sagte Kathryn, als sie sich von dem Schreck erholt hatte. „Kam es sehr überraschend?“
Endlich wurden die Speisen gebracht und Platten mit Fleisch und Geflügel auf den Tisch gestellt. Alle begannen zu essen, was Philip dazu nötigte, Lady Kathryns Hand loszulassen. Wolf bemerkte Kathryns Anteilnahme am schmerzlichen Verlust des Earls. Ihm war natürlich klar, dass sie Philips wahre Natur bei ihrem ersten Treffen mit ihm noch nicht durchschauen konnte, dennoch fand Wolf ihr Mitleid für Philip sehr ärgerlich.
„Nein“, antwortete Philip auf Kathryns Frage. „Meine Frau ist schon einige Monate vor ihrem Tod krank gewesen – ein Magenleiden.“ Er machte eine kleine Bewegung mit dem fleischigen Stück Rinderrippe, das er gerade in der Hand hielt, so als ob er lieber über etwas anderes sprechen wollte. Kathryn empfand
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