HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
Palast von Westminster
Eines sonnigen Morgens stieß Kathryn ganz zufällig auf Rupert, als sie gerade spazieren ging. Um die Wahrheit zu sagen, stolperte sie fast über ihn.
Da sie sich besonders niedergeschlagen und einsam fühlte, hatte sie, in der Hoffnung, dass dieser farbenfrohe Ort sie aufheitern würde, einen der weniger benutzten Pfade gewählt. Ein munteres Flüsschen durchzog diesen Teil des Gartens. Hier und da gab es bizarre Steinformationen, und eine alte knorrige Eiche reckte sich gen Himmel.
Kathryn entdeckte einige Kräuter, die nahe am Bach neben wild wachsendem Gras standen, und beugte sich nieder, um sie zu begutachten und vielleicht ihrem Vorrat an Heilpflanzen hinzuzufügen. Sie ging am Ufer entlang und achtete wenig auf ihre Umgebung, abgesehen von den kleinen Schößlingen und Wildkräutern, die sich da und dort hinter Steinen verbargen.
Da stolperte sie über Füße. Offensichtlich war sie so leise oder Rupert und seine Begleiterin waren so beschäftigt gewesen, dass ihnen Kathryns Anwesenheit an diesem Ort nicht aufgefallen war. Rupert richtete sich erschrocken aus dem hohen Gras auf und wollte dem Störenfried schon gehörig die Meinung sagen, als er plötzlich sah, wen er vor sich hatte.
Just in diesem Moment setzte sich Lady Catheryn Hayward auf, die Kathryn vom Hofe her kannte, und schüttelte Gras aus ihrem Haar und ihrer Kleidung. Sie errötete und lächelte verschämt, konnte aber nicht umhin, Kathryn in die Augen zu schauen.
„Ach, Kathryn!“, sagte Rupert etwas aufgeregt. Er stand auf und grinste sie verlegen an.
„Rupert.“ Sie nickte und nahm seinen Gruß recht zurückhaltend zur Kenntnis.
Sie fühlte so gut wie nichts, was sie sehr überraschte. Ausgerechnet Catheryn Hayward, dieses widerliche kleine Dummerchen. Und da stand sie, Kathryn, und ihr gegenüber Rupert, von Angesicht zu Angesicht – und wusste nichts zu sagen. Sie hatte gedacht, sie würde sich ihm in die Arme werfen, wenn sie ihn wiedersähe, dass sie ihm alles über Bridget und den König erzählen würde und ihn vielleicht dazu bringen könnte, ihr dabei zu helfen, herauszufinden, warum sie nach London gerufen worden war …
„Ich habe davon gehört, dass du hier bist.“ Sein Gesicht war noch schöner geworden in den letzten drei Jahren, aber seine edlen Züge beeindruckten Kathryn nicht sonderlich. Als sie Catheryns erhitztes Gesicht und ihre geröteten Lippen sah, verstand sie plötzlich die heimlichen Bemerkungen der Hofdamen. Ihr wurde klar, dass, was auch immer sie einst für Rupert gefühlt haben mochte, längst vergangen war.
„Wie lange bist du schon zurück?“, fragte sie.
„Wie? Meinst du in London?“
Sie nickte.
„Ach … nun ja, ein paar Monate“, antwortete er. „Einige von uns sind schon vor dem König zurückgekehrt.“
„Du musst hier in Westminster sehr beschäftigt gewesen sein …“
„Durchaus nicht“, sagte Rupert mit einem verwegenen Lächeln. „Seine Majestät hat uns freien Urlaub gegeben, nach all den langen Monaten in Frankreich. Es ist schön, dich zu sehen, Kathryn.“
„Ich … wir … hatten angenommen, dass du nach Northumberland heimkommen würdest …“ Es war sonderbar. Sie hätte wütend sein sollen, da er nicht schon vor Monaten zu ihr zurückgekehrt war, doch sie fühlte sich stattdessen durchaus erleichtert, mit diesem hübschen Weiberhelden nicht verlobt zu sein.
„Nein, ich habe nicht vor, nach Norden zu gehen, wenn ich nicht muss. Ich bevorzuge es, in London zu bleiben.“ Er lächelte keck.
„Ich verstehe“, sagte Kathryn mit einem kurzen Blick auf Catheryn, die aufgestanden war und sich umgewandt hatte, um ihr verrutschtes Kleid zurechtzurücken. Kathryn musste daran denken, dass unter den Damen bei Hofe das Gerücht ging, er stelle Lady Alice nach. Dennoch war er mit Catheryn hier.
Wie leichtfertig er ist, dachte sie. Er hatte weder ihr gegenseitiges Versprechen ernst genommen, noch verhielt er sich verantwortungsvoll seiner Familie gegenüber. Er hätte sie wenigstens besuchen oder seinem alternden Vater eine Nachricht zukommen lassen können. Beim Gedanken an seine mangelnde Verantwortung wuchs ihr Zorn.
„Kathryn …“
„Rupert“, rief Catheryn ihn weinerlich beim Namen. „Ich glaube, es ist Zeit, dass du mich zurückbringst. Mama wird sich schon wundern.“
„Nur noch einen Augenblick, Kate“, vertröstete er sie, obgleich sie schon seinen Arm ergriffen hatte und daran hing, als ob sie nicht alleine stehen
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