HISTORICAL EXCLUSIV Band 22
verheirateter Eltern. Dass sie die Schande tragen musste, enterbt und fortgeschickt worden zu sein.
„Mich heiraten?“ Er war sichtlich erstaunt. Kathryn war für ihn mehr wie eine Schwester. Es stimmte, sie hatten als Kinder darüber gesprochen, wie es wäre, miteinander verheiratet zu sein, doch das war nur ein Spiel gewesen. Nichts Ernstes. Wenigstens hatte er das geglaubt.
Sie nickte. „Bis ich hierherkam und merkte, dass du überhaupt nicht so warst, wie ich erwartet hatte.“
„Was bedeutet das denn nun wieder?“ Er tat so, als ob er beleidigt wäre, und zog sich von ihr zurück. Sie hat sich zu einer wahren Schönheit entwickelt, dachte Rupert, als er an ihr hinuntersah. Nicht, dass er sie ehelichen wollte … Aber falls sie irgendetwas anderes im Sinn hatte …
„Das bedeutet nur, dass du nicht gerade eine sehr gute Wahl für einen Ehemann bist.“
„Tja, das ist eine große Erleichterung“, sagte er lächelnd, während sie schon wieder an seiner Schulter weinte. „Ich würde es abscheulich finden, wenn irgendjemand mich zu diesem entsetzlichen Zweck haben wollte.“
„Nein“, schluchzte sie. „Aber …“
„Was aber?“
„Ach, nichts.“ Kathryn setzte sich auf und trocknete sich die Tränen. „Ich sollte hier draußen nicht so weinen. Wenn jemand uns sieht …“
„Mach dir keine Sorgen, Kathryn. Niemand in Westminster ist schon so früh auf den Beinen.“
Kathryn nahm in Ruhe ein ausgedehntes Bad zur Besänftigung ihrer aufgewühlten Sinne. Danach bereitete Jane eine Art Breiumschlag, den sie auf ihre Augen legen sollte, um die Rötung und Schwellung vom vielen Weinen abklingen zu lassen. Schließlich lag Kathryn auf einem Lager vor dem Feuer und schlummerte, während ihr Haar trocknete und Jane ihre Gewänder für den Abend herrichtete.
Die Dienerinnen wussten, dass Kathryn letzte Nacht nicht besonders viel geschlafen und sich auch den ganzen Tag über nicht wohl gefühlt hatte. Gerüchten zufolge rührte ihr Kummer von der Heirat her, die der König für sie arrangiert hatte. Es war noch nicht allgemein bekannt geworden, dass sie in Wahrheit Heinrichs Schwester war – seine illegitime Halbschwester.
Als Kathryn endlich erwachte, kleideten die Mädchen sie in das elegante weiße Gewand mit dem Besatz aus Goldfäden, das einmal Meghan gehört hatte und das Kathryn Bridget versprochen hatte zu tragen, wenn sie dem König vorgestellt würde. Das Oberteil war umgenäht worden, sodass es jetzt eng anlag, und man hatte zusätzlichen Stoff benötigt, um die Ärmel ganz nach der Mode zu verlängern.
Jane kämmte Kathryns Haar, bis es in seidigen, dichten Locken herunterfiel. Dann riet sie Lady Kathryn, keinen Schleier zu tragen, und flocht ihr dünne weiße Samtbänder ins Haar. Da Kathryn keine Schmuckstücke besaß, war sie der Inbegriff einfacher, engelsgleicher Anmut und Schönheit, als sie sich aufmachte, den König zu treffen.
Königin Catherine war zurückhaltend bei ihrer Begrüßung, doch Kathryn spürte keinen Mangel an Wärme in ihr. Ihre hellbraunen Augen funkelten wohlwollend, und sie schien Heinrich aufrichtig zugetan zu sein. Kathryn bemerkte, dass sie oft ihre reich geschmückte Hand auf den Arm ihres Mannes legte und ihm auch noch andere Zeichen der Vertrautheit gab. Ihr Gesicht war lang und schmal, fast schon hager, doch nicht unangenehm anzusehen. Der Schnitt ihres karminroten Kleides war derselbe, den alle Damen bei Hofe trugen. Kathryn wusste sofort, wem die Hofdamen nacheiferten.
Als sie ihren Bruder erblickte, fiel ihr zunächst die Unterschiedlichkeit seiner Gesichtszüge im Vergleich zu den ihren auf. Die einzige Ähnlichkeit bestand darin, dass Heinrichs Kinn ebenfalls so ein Grübchen aufwies wie ihres. Auch die Form seiner Augen kam ihr bekannt vor, obgleich seine haselnussbraun waren, ihre dagegen grün.
„Endlich lernen wir uns kennen“, sagte er freundlich, als Kathryn sich verneigte. „Ich habe schon viel von Euch gehört.“ Heinrich nahm Kathryn bei der Hand und geleitete sie zu einem Stuhl.
„Aber woher …“
„Der Marquess of Kendal hat mir alles von Euch erzählt, was er wusste“, sagte Heinrich. „Und natürlich war auch Sir Gerharts Bericht recht ausführlich.“
Kathryn errötete. Sie musste sogleich an den Vorfall mit Wolf auf dem Korridor in Kendal denken und fragte sich, ob er dies ebenfalls erwähnt hatte.
„Er hat mir den Überfall nach Eurem Besuch in Windermere sehr eindrücklich geschildert“, fuhr Heinrich fort,
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